An Luthers Thesen soll die Welt genesen…
Reformationsjahr 2017, das fünfhundertjährige Jubiläum des Thesen-Anschlages zu Wittenberg und die evangelische Kirche rastet komplett aus, organisiert Konzerte, Lesungen, Massengebete und sogar Trommelkreise. Konfessionsstifter Martin Luther wird aus der Gruft der Geschichte wieder in die Mitte der Gesellschaft gehievt und steht der Feierei als Gallionsfigur voran.
Auch ich möchte an dieser Stelle an die Aussprüche des „reformatorischen Wortakrobaten“ (ekd.de) erinnern, jedoch eher im Hinblick auf die weltlichen Fragestellungen seiner Zeit, denn die religiösen Ergüsse: Die Umstände, unter denen seine Mitbürger*innen zu leiden hatten (Willkürherrschaft, Knechtschaft etc.) stellte der Religionserneuerer nicht in Frage, denn es ist besser, wenn Tyrannen hundert Ungerechtigkeiten gegen das Volk verüben, als dass das Volk eine einzige Ungerechtigkeit gegen die Tyrannen verübt. Vielmehr hat die bestehende Ungerechtigkeit schon ihren (höheren) Sinn, Luther argumentierte schließlich gerne im Kreis: Könnten sie auf bessere Art zu regieren sein, würde Gott auch eine andere Ordnung über sie gesetzt haben als das Schwert und die Tyrannen.
Apropos bestehende Ordnung, die Rolle der Frau war im Mittelalter i.d.R. auch leidlich weit von jeglicher Selbstbestimmung entfernt, der Reforminator sieht auch dies als gottgegebene Bestimmung an: Eine Frau hat häuslich zu sein, das zeigt ihre Beschaffenheit an; Frauen haben nämlich einen breiten Podex und weite Hüften, daß sie sollen stille sitzen. Martin, der Altherrenwitz in Mönchskutte, legt aber natürlich gerne noch einen drauf: Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.
Eigentlich traue ich mich jetzt schon gar nicht mehr nachzuschauen, ob der alte Stinkstiefel nicht auch etwas gegen Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen (…); Man sollte ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecken, (…) unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien (…) ihre Häuser desgleichen zerbrechen und zerstören. Oj Gewalt, das klingt tatsächlich sehr genau nach einem How-To-Reichspogromnacht, was sagen denn deutsche Ex-Promis dazu? Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung; sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen. So rezensierte Adolf Hitler seinen geistigen Wegbereiter, noch Fragen?
Ich möchte keinem Menschen seinen/ihren Glauben absprechen, denn ich bin der Ansicht, dass jeder Mensch das im Bereich der Privatssphäre mit sich klären muss. Was mir allerdings gehörig auf den Geist geht, ist die vollkommen unreflektierte Haltung, die sehr vielen öffentlichen Aktionen und Huldigungen für Martin Luther innewohnen und die einen gefährlich naiven Personenkult um eine Person jenseits jeglicher positiven Vorbildfunktion befeuert, während dessen gefährliche und dumme Aussagen vollkommen ignoriert werden. Hatte sich nicht die Reformation auch auf eine Ablehnung der weltlichen Gewalt des personifizierten Gotteskultes um den Papst gegründet? Gerade aus einer solch historischen Begründung der eigenen Konfession sollte die evangelische Kirche auf den Marketing-Gag Luther verzichten und sich lieber mit aktuellen Themen als dem Menschenfeind Martin Luther auseinandersetzen.
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