Die Leichtigkeit des Scheins

Bildrechte: Bastian Stock

Rund um den Weihnachtsmarkt in Landau, der wie jedes Jahr auf dem Marktplatz inmitten der Stadt aufgebaut wurde, wurden heute mehrere Barrieren aus Betonquadern verlegt. Offensichtliches Ziel ist der Schutz der Besucherinnen und Besucher des Weihnachtsmarktes. Wir nehmen die Quader als Stein des Anstoßes für eine kritische Betrachtung des Sicherheitsfetisches von Behörden.

Zuerst einmal gilt es den Nutzen der Steine zu betrachten. Einer der Quader wiegt ca. 2 Tonnen und wird lose auf dem Boden platziert. Durch die „Höcker“ auf der Oberseite können mehrere Steine aufeinander verbaut werden, um so ihr Gewicht (und damit die Bremswirkung auf Fahrzeuge) zu erhöhen. Ein Beitrag des mdr zeigt Crashtests mit baugleichen Steinquadern und macht dabei deutlich, dass deren Wirkung gegen null läuft. Eher potenzieren die Steine, da sie nach dem Aufprall des LKW beschleunigt und meterweit geschleudert werden, die Gefahr für die dahinter befindlichen Menschen. Ein 10t schwerer LKW kann dabei einen nicht verankerten Quader beschleunigen und, obwohl die Quader ihm die Vorderachse wegreißen, mit hoher Geschwindigkeit über die Barrikade hinweg schießen.

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Die Quader in Landau sind zu dreien übereinander gestapelt und an einigen der Zufahrten versetzt in drei Reihen aufgestellt. Vermutlich zielt das Sicherheitskonzept darauf ab, dass eine solche Barriere einen LKW wesentlich schneller ausbremsen kann. Fraglich ist jedoch, wie sich die nicht verankerten Barrieren nach dem Aufprall verhalten. Es liegt nicht vollkommen fern aller Logik anzunehmen, dass ein mehrere Tonnen schwerer LKW daraus tödliche Geschosse machen kann. Aber abschreckend sehen sie ja schon aus.

Und genau an dieser Stelle setzt die eigentliche Kritik dieses Artikels an. Wie viele der lesenden Personen hatten vor einer Woche, so denn sie an den Besuch des Weihnachtsmarktes gedacht haben, das mulmige Gefühl in der Magengegend, dort von einem Terroranschlag bedroht zu sein? Jetzt wo die Barrieren stehen, lässt sich der Gedanke natürlich nicht mehr aus dem Kopf löschen. Ein Gefühl der Beklemmung und des trotzig-dumpfen „Wir lassen uns unseren Weihnachtsmarkt nicht vom Terror kaputt machen! Nicht unseren Weihnachtsmarkt!“. Mir geht nicht mehr das fiktive Bild eines Ehepaares aus dem Kopf, die an den Barrieren vorbei auf den Weihnachtsmarkt laufen:

Sie: „Schau mal, was haben die denn da aufgebaut?“
Er: „Das müssen Barrieren sein.“
Sie: „Schrecklich, alles nur wegen dieser Terroristen.“

Ungefähr so dürften in den nächsten Tagen zahllose kurze Anekdoten rund um den Marktplatz zu hören sein. Terror wird von staatlicher Seite gerne als Krieg bezeichnet. Das allerdings ist er nicht. Zumindest nicht in der eigentlichen Bedeutung des Krieges. Krieg würde bedeuten, dass sich (mindestens) zwei Konfliktparteien gegenüber stehen und in Kampfhandlungen versuchen ihre Interessen durchzusetzen. Terror allerdings muss sich dabei allerdings nicht an Zahlen orientieren (also bspw. eine gegnerische Streitmacht um eine bestimmte Anzahl von Kämpfer*innen dezimieren, um deren Aufgabe zu erzwingen). Terror kämpft mit dem Mittel der Angst (daher auch der Name, der im lateinischen „Schrecken“ bedeutet).

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Für die Wirkung des Terroranschlages vom Breitscheideplatz ist die Zahl der Opfer an sich kein allzu wichtiger Faktor. Das soll auf keinen Fall die Tragik der jeweiligen Einzelschicksale relativieren, jeder Mensch der bei diesem Anschlag getötet oder verletzt wurde hinterlässt Angehörige bzw. muss mit den Folgen klar kommen. Aber der wichtigere aus Sicht der Terroristen ist die pure Tatsache, dass ein völlig unerwartetes und schreckliches Ereignis an einem Ort eintritt, an dem dieses nicht vermutet wurde. Für die Anwender*innen von Terror ist die Angst der Überlebenden wichtiger als das die/der einzelne Tote. Die Toten sind ohne Frage ein Mittel um diese Angst zu erzeugen. Denn durch diese Angst nehmen sie Einfluss auf die Gesellschaft, der sie Schaden zufügen wollen.

Nach jedem Terroranschlag fanden bisher öffentliche Rituale statt, die sich festgefahren haben. Das Färben des Profilbildes in den Farben der betroffenen Nation, das Hervorzerren der nächstbesten geistlichen Vertreter des Islam, die sich dann gefälligst stellvertretend für alle Mitglieder ihrer Gemeinde von den Motiven der Attentäter*innen zu distanzieren haben (was die Christen nach dem Attentat des selbsternannten Kreuzritter Anders Breivik nicht mussten) und die Beteuerungen verschiedener Politiker*innen, dass wir uns unser Lebensgefühl und unsere Gesellschaft nicht durch den Terror zerstören lassen dürfen. Und um das dann quasi zu zementieren, werden an den Weihnachtsmarkt einfach dicke Panzersperren aufgezogen. Upsi.

Denn die Quader erzeugen ein quasi ein dialektisches Moment: Die Anwesenheit der Quader soll für die Sicherheit stehen (erfüllen dieses Versprechen jedoch bestenfalls kaum), rufen jedoch wesentlich stärker den Gefahrenzustand ins Bewusstsein der Betrachter*innen. Der Terror ist also auch in den Quadern allgegenwärtig und nimmt eben wohl Einfluss auf unsere Sicht auf die Welt und das gesellschaftliche Zusammenleben. Wo ein Kriegszustand suggeriert wird, da muss es auch eine Gegenseite geben, koste es was es wolle. Diesen Part müssen in der, auf christlichen Traditionen errichteten, deutschen Gesellschaft dann alle offensichtlich nicht dieser Norm entsprechenden Personen erfüllen. Geflohene, Deutsche Staatsbürger*innen mit von der (fiktiven) Norm abweichendem Teint und gläubige Muslime.

Und genau darauf zielt beispielsweise der IS ab (hier und hier). Eine misstrauische, gegen eigene Bestandteile argwöhnisch bis feindselige, Gesellschaft destabilisiert sich selbst und kann eine Radikalisierung der ausgestoßenen Individuen in Gang setzen, Nachschub auf den Terrororganisationen bauen. Dagegen hilft nur, die Lage nüchtern und rational zu betrachten und nicht in heilloser Erregung symbolpolitisch Kriegszustände auf dem Weihnachtsmarkt herauf zu beschwören. Etwas anderes tut z.B. die Barriere an der Trappengasse definitiv nicht. Dort stehen dreimal hintereinander jeweils drei Quader aufeinander. Einen Vierzigtonner von der Königsstraße in die Trappengasse zu lotsen käme allerdings dann doch eher einem Wunder biblischen Ausmaßes gleich.

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