Sänk ju for Träwweling

Symbolbild: Die DB-Chefetage

Es ist zwanzig nach sieben und ich stehe am Landauer Bahnhof und warte auf den Zug nach Neustadt. Er hat fünf Minuten Verspätung. Mir ist ein bisschen kalt und ich bin ein bisschen müde. Links und rechts von mir stehen schweigende Gestalten jeden Alters, manche rauchen. Jemand gähnt laut. Auch ein bisschen müde. Wir warten, niemand spricht. Dann fährt der Zug ein. Nur sechs Minuten zu spät, geht voll, denke ich.

Ich bin auf dem Weg zu meiner besten Freundin, sie lebt in Berlin und auf mich warten noch planmäßige sieben Stunden Zugfahrt. Wie für die allermeisten, denen die Eltern nicht zum achtzehnten Geburtstag einen Renault Twingo und eine Unfallversicherung schenkten, gehört auch für mich zum Studium unausweichlich die Konfrontation mit der Deutschen Bahn, wenn ich die Familie, den Partner oder die beste Freundin besuchen will oder mich ganz allgemein weiter von Landau wegbewegen möchte als es mit dem Fahrrad möglich wäre.

Der Beziehungsstatus zwischen der Deutschen Bahn und mir ist, sagen wir mal, kompliziert. Eine Hassliebe, wenn man so will. Wobei der Liebe-Teil sich auf die offensichtlichen Vorteile wie Umweltschutz und Peoplewatching an Bahnhöfen bezieht und der Hass-Teil darauf, dass ich in all den Jahren genau dreimal pünktlich angekommen bin. Ich weiß das so genau, weil ich es aufgeschrieben habe, kein Witz.

Der Regio rollt Richtung Neustadt. Es riecht ein bisschen nach Urin und ein bisschen nach Schweiß, aber ich habe einen Sitzplatz, ich kann mich nicht beklagen. Ich schließe die Augen und setze meine Kopfhörer auf.

Ich habe die Fahrten nach Berlin oder in die Heimat viele, viele Male bestritten: am Wochenende, unter der Woche, als Tag- und als Nachtfahrt. Die Fahrgäste sind dabei jedes Mal andere, die Schaffner/-innen unterschiedlich freundlich beziehungsweise unfreundlich, die Abteile unterschiedlich verschmutzt und die Wagons unterschiedlich voll. Das einzige, was wirklich jedes Mal gleichbleibt, ist die Unpünktlichkeit der Züge. An dieser Stelle ein kleiner Fun Fact: Tatsächlich gab die Bahn im Jahr 2018 so viel für Entschädigungen und Teilrückzahlungen aus, dass sie von dem Geld gleich zwei neue ICEs hätte anschaffen können. Die natürlich auch nichts an der Unpünktlichkeit geändert hätten, seien wir mal ehrlich. Die Gründe für Unpünktlichkeit und Verspätung sind vielfältig: Zugausfall, technische Störung am Gleis, technische Störung am Zug, Signalstörung, Verspätung eines vorausfahrenden Zuges, unplanmäßiger Halt, Zugüberholung, die Türen schließen nicht, der Lokführer fehlt, es ist kalt, es ist nass, es ist glatt, Personen im Gleis, Personen auf dem Gleis, Personen am Gleis, „wie sie merken stehen wir im Moment, wir informieren sie sobald uns Informationen zu den Gründen vorliegen“ oder mein persönlicher Favorit: der Zug steht einfach und man lässt uns über mögliche Gründe fröhlich spekulieren.

Mein Zug fährt in den Neustadter Bahnhof ein. Ein bisschen verspätet, nicht dramatisch. Ich suche mein Gleis und esse einen Apfel. Könnte schlimmer sein, alles. Doch ich habe mich zu früh in Sicherheit gewiegt: Nach ein paar Minuten ertönt das vertraute Klingeln, ich horche, Böses ahnend, auf. Zehn Minuten Verspätung. Ich werde ein bisschen ärgerlich. Besten Dank, Deutsche Bahn.

Die Wut auf die verspäteten Züge verläuft übrigens in Phasen: Erst kommt leichter Ärger, weil, na super, Verspätung, war ja klar. Aber alles noch okay, man ist noch semi-optimistisch. Schnell folgt dann jedoch Verzweiflung, weil man merkt, man verpasst den Anschluss am nächsten Bahnhof – und vermutlich in einer Art fatalem Dominoeffekt auch alle weiteren Anschlüsse – dann wird man unheimlich wütend auf alle, die diese grässliche DB-Uniform tragen, blöde Wichtigtuer. Später wird man langsam von quälendem Hunger heimgesucht, weil man nicht mit so langer Wartezeit gerechnet und zu wenig Snacks dabeihat. Und schließlich endet alles in dumpfer Resignation und man wartet mit leerem Blick nur noch darauf, einfach irgendwann irgendwo anzukommen. Erreicht man dann endlich den nächsten Bahnhof, heißt es geschickt und schnell sein: Lohnt es sich, der DB-App und ihren manchmal zweifelhaften Vorschlägen zu alternativen Zügen zu vertrauen? Oder sollte man vielleicht doch besser zum Schalter gehen und sich dort vom unfreundlichen Bahnpersonal eine Alternativroute ausdrucken lassen? Aber gibt es überhaupt einen Schalter? Ist er besetzt? Bleibt genug Zeit, den Schalter erst noch zu suchen?

Hat man die neue, alternative Reiseroute dann in der Hand, heißt es warten. Vielleicht trinkt man einen schlechten, überteuerten Coffee to go, den man in umweltunfreundlichen Wegwerfbechern an einer Imbissbude erstanden hat, vielleicht isst man aus Hunger oder Langeweile oder Frust ein muffiges, lieblos belegtes Brötchen – außer natürlich es ist mitten in der Nacht, dann ist, je nach Bahnhof, weder Servicepersonal anwesend noch sind Imbissbuden besetzt. In dem Fall hockt man dann allein am Gleis auf den Bänken aus kaltem Stahl, deren Streben sich unbarmherzig ins Sitzfleisch graben und bleibt bis auf weiteres sich selbst überlassen.

In Neustadt fährt mein Anschlusszug ein. Die Menschenmassen, die sich in der Zwischenzeit am Bahnsteig gesammelt haben, drängen zu den Türen. Noch ein Regio, diesmal RichtungMannheim. Freie Sitzplatzwahl, man muss schnell sein. Ich boxe mich durch plärrende Kinder und hechelnde Hunde und zeternde Omas und besoffene Fußballfans und setze mich. Es riecht nach Schweiß, Parfum, altem Bier, frischem Bier und Käsefüßen. Vielleicht ein bisschen nach McDonald’s. Ein Halt in Ludwigshafen, ein paar Leute steigen ein, setzen sich. Die Türen gehen zu. Nichts passiert. Die Türen gehen wieder auf. Irgendjemand seufzt. Etwas piepst, die Türen gehen zu und dann wieder auf. Nochmal. Und noch einmal. Ich bange um meinen Anschluss in Mannheim.

Zugtüren, die nur öffnen und dann offen bleiben oder nur schließen und dann für immer verschlossen bleiben, scheinen bei der Bahn ein sehr verbreitetes Problem zu sein. Allzu oft steht man im Zug vor einer verschlossenen Schiebetür und starrt in die Gesichter der am Gleis Wartenden, die auf der anderen Seite nicht begreifen, warum sie nicht ins Abteil gelangen, und in deren Mimik man von milder Irritation bis rotem Zorn jede Emotion finden kann.

Ich stehe in den Startlöchern, den Rucksack auf dem Rücken, das Handy mit der geöffneten App in der Hand. Für den Gleiswechsel in Mannheim bleiben mir exakt zwei Minuten, und, wie mich die App freundlicherweise informiert, können sie keine zuverlässigen Angaben darüber machen, ob ich meinen Anschlusszug erwische. Surprise, surprise. Der Zug hält und zusammen mit geschätzten vierzig anderen presche ich los und renne in panischer Hast den Bahnsteig entlang. Treppe runter, den Gang entlang, Treppe rauf. Oben am Gleis stoße ich mit einem Junggesellinnenabschied zusammen, die sich dort ganz entspannt Hugo aus Dosen genehmigen. Vom Zug keine Spur. Bin ich zu spät? Ein Blick auf die mit Taubenkot und Staub verschmierte Anzeige bringt Klarheit: Der Zug war noch gar nicht da. Er hat zwanzig Minuten Verspätung. Ich lasse mich neben einem Schokoriegelautomaten auf den Boden sinken. Toll.

Die Bahn bietet übrigens Entschädigungsformulare an, die man am Bahnhof bekommen kann, da gibt es auch einen sehr aufschlussreichen Flyer über die Fahrgastrechte, den ich empfehlen kann. Das Ganze gibt es auch online. Man darf es nur nicht vergessen oder zu faul sein oder beides, sonst ärgert man sich später. Reicht man so ein Formular ein, bekommt man ab einer Verspätung von 60 Minuten 25 % des Fahrpreises, ab 120 Minuten Verspätung 50 % des Preises erstattet. Ganz schön großzügig. Lohnt sich besonders bei Sparpreis-Fahrten, da kriegt man für zwei Stunden Warten dann ganze elfeinhalb Euro zurück.

Der ICE ist da. Ich steige ein und beginne die Suche nach einem Sitzplatz, der noch nicht besetzt, reserviert oder mit einem gut drapierten Handtäschchen freigehalten ist. Ich reserviere nie einen Platz im ICE, weil das vier Euro kostet und ich der Bahn diese vier Euro nicht gönne. Ich finde keinen Sitzplatz, deshalb stelle ich mich zu einer Gruppe junger Frauen, die auch keinen haben. Wahrscheinlich haben sie der Bahn die vier Euro auch nicht gegönnt. Eine Schaffnerin drängelt sich an uns vorbei und wirft uns einen genervten Blick zu. Ich fühle mich ein bisschen schuldig, weil ich so im Weg stehe, aber nicht sehr. Mein Rücken tut weh und ich erwäge, mich auf den Boden zu setzen, doch der Anblick braungrauer Schmutzspuren lässt mich diesen Gedanken wieder verwerfen. Ich lehne mich an die Wand, damit das Hin und Her des Zuges mich nicht zum Stolpern bringt und setze meine Kopfhörer wieder auf.

Die Ticketkontrolle bei Verspätung, das muss fairerweise gesagt sein, verläuft zumeist sehr unkompliziert. Der Schaffner kommt, kontrolliert, man setzt an zu erklären, dass man eigentlich in einem anderen Zug sitzen müsste, denn man war ja verspätet und jetzt – er winkt ab, er weiß Bescheid, er kennt das. Man packt das Ticket weg und schließt die App, stöpselt die Ohren zu und/oder nimmt das Buch wieder auf.

Aufpassen muss man allerdings, dass man auch bei aufgehobener Zugbindung nicht aus Versehen statt in einen Regio in einen Zug höheren Ranges wie einen ICE steigt, auch wenn er in die gleiche Richtung fährt, das ist verboten. Tut man das dennoch, gibt das bei der Ticketkontrolle eine böse Überraschung und man ist auf die Menschenfreundlichkeit des Zugpersonals angewiesen, die entweder Mitleid haben, einen am nächsten Halt rauswerfen oder einem im schlimmsten Fall ein Bußgeld abverlangen.

Ich kriege langsam wirklich Hunger. Nicht schlimm, denke ich, bald bin ich ja da. Und hey, ein bisschen Verspätung, das geht, sooo viel Zeit hab‘ ich gar nicht verloren. Ich werde fast ein bisschen versöhnlich, das buchstäbliche Licht am Ende des Zugtunnels macht mir Mut. Bald da!

Der Zug stottert kurz und dann geht der Motor aus. Im Zug wird es erst leise, dann laut. Man nimmt die Kopfhörer aus den Ohren. Es knistert. Ein Blick in die Augen des Gegenübers spiegelt die eigene Fassungslosigkeit. Und dann ertönt durch die allgemeinen Unmutsäußerungen die vertraut quäkige Stimme des Lokführers: „Meinööö sehr verehrten Damen ooond Herren, unser Zug ist soeben außerplanmäßig zum Stehen gekommen…“

Bildquelle: pixabay.com

1 Kommentar

  1. Der Artikel ist definitiv lesenswert. Die Verfasserin schreibt von einer Zugfahrt von Landau nach Berlin. Zwei Unstimmigkeiten fallen mir dabei auf. Sobald man den 1. Umstieg verpasst und einen alternativen Zug nehmen muss, entfällt sowieso deine Sitzplatzreservierung. Da hätte in dem geschilderten Fall die Person, auch wenn sie die vier Euro auszugeben Willens gewesen wäre, keinen Sitzplatz bekommen. Des Weiteren interessiert mich, wann man eine Aufhebung einer Zugbindung hat, die den Fernverkehr betrifft, wie in diesem Artikel beschrieben, die dann wiederum die Nutzung eines ICEs verbietet. Da werden doch Buchungen von Nahverkehrs- und Fernverkehrstickets über einen Haufen geworfen. Allerdings sollte jedem klar sein, dass er bei einem Nahverkehrsticket, auch bei Verspätung und damit verbundenem Ausweichen auf einen alternativen Zug, nicht einfach einen Fernverkehrszug nehmen darf, selbst wenn dieser zufällig in die gleiche Richtung fährt. Ich kann einiges, das in diesem Artikel geschildert wird, nachvollziehen, aber so manches scheint mir überspitzt und eine einzige Hasstirade. Ich bin als Studenten extrem oft quer durch Deutschland, z. B. nach Hamburg, Berlin, München, Dresden gefahren. Je nach Ziel z. T. mehr als fünf Mal mit der Bahn gefahren sowieso mehrmals wöchentlich kürzere Strecken nach Neustadt/Mannheim/Kaiserslautern und kann die beschriebene Wut nicht nachvollziehen. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist unser Fern- und Nahverkehr, mehr als angenehm und zumutbar. Bahn-Bashing schien, so nahm ich zumindest an, eine ausgelutschte Thematik zu sein. Leider wird hier das Gegenteil bewiesen. Die enormen Vorteile, die das Bahnfahren für die Umwelt hat, werden wirklich sehr nebensächlich betrachtet, das finde ich wenig vorbildlich. Natürlich sind momentane Probleme, wie die noch bestehenden Verträge der DB mit Braunkohleanbietern, verbesserungswürdig. Nichtsdestotrotz ist so ein leicht trotziger Artikel einfach unpassend und scheint einfach überspitzt.

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