Deniz Yücel, klingelt da noch was? Deniz Yücel sitzt momentan, neben zahlreichen anderen Journalist*innen in der Türkei in Haft, offiziell der Spionage angeklagt, inoffiziell des Journalismus. Eigentlich müssten an dieser Stelle viele Namen stehen, Namen von Menschen, die bereits im Gefängnis sitzen, Namen von Menschen, die jederzeit fürchten müssen verhaftet zu werden und Namen von Menschen, die ihre Arbeit als Journalist*innen seit Jahren unter einem unmenschlichen Druck und mit einer gewaltigen Schere im Kopf ausüben müssen. Das Schicksal von Deniz Yücel hat das Ausmaß des Verfalls der türkischen Pressefreiheit vor allem deswegen näher an unsere Gesellschaft herangetragen, weil er neben der türkischen Staatsbürgerschaft auch noch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Die systematischen Verhaftungen von Journalist*innen in der Türkei jedoch scheren sich einen Scheiß um Nationalitäten, sondern zielen darauf ab, die öffentliche Berichterstattung über die Vorgänge im Land zu unterbinden.
Was bringt es, die Pressefreiheit so massiv zu untergraben, wie es derzeit in der Türkei der Fall ist?
Die AKP, Partei des amtierenden Präsidenten Erdogan, ist eine religiös-traditionalistische Partei. Anders als wir in Deutschland, hat es die Türkei geschafft, ihren Staat Anfang des 20. Jahrhunderts tatsächlich zu säkularisieren und die Religion aus den Organen des Staates zu entfernen. Das wäre so, als gäbe es an Ostern kein Tanzverbot in Deutschland und als dürfte in Bayern kein Kreuz im Klassenzimmer hängen. Diesen Schritt verdankt die Türkei dem Staatsgründer Kemal Attatürk und diese Haltung wird als Kemalismus bezeichnet. Die AKP stand auf Grund ihrer religiös beeinflussten Ausrichtung lange Zeit im Konflikt zu dieser Staatsräson und wurde noch 2007 beinahe verboten. Doch die Wahl 2002 machte die AKP zur Regierungspartei und erlaubte ihr Einfluss auf die verschiedensten Bereiche der türkischen Demokratie zu nehmen. In der Medienberichterstattung bedeutet dies, dass die Partei die Kompetenz erhielt, die Leitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Türkei (TRT) zu wählen, das sorgte schon in der Vergangenheit für eine, sagen wir mal, nicht so kritische Berichterstattung des Senders gegenüber den jeweils aktuellen Regierungen.
Das restliche Pressewesen besteht aus Zeitungen und Fernsehsendern im Privatbesitz. Cool, schön unabhängig und…ah ne, eher nicht: So gut wie alle namhaften Zeitungen und Fernsehsender gehören zu relativ wenigen Holdings, also Firmengebilden, die neben den Medienunternehmen auch in anderen Wirtschaftssektoren Unternehmen besitzen. Das wiederum bedingt durchaus die Berichterstattung denn einerseits werden die Mediensparten der Holdings kaum negativ über andere Sparten des eigenen Unternehmenskomplexes berichten und andererseits besteht für diese übrigen Wirtschaftssparten der Holdings in vielen Fällen eine Abhängigkeit vom Staat, etwa wenn diese im Bausektor angesiedelt sind und um öffentliche Aufträge konkurrieren. Es gab bereits in der Vergangenheit Konfrontationen zwischen den Holdings und der aktuellen Regierung, welche sogar die Möglichkeit ergriffen hat, unliebsame Medienhäuser zu verstaatlichen und an regierungsnahe Unternehmer*innen zu verkaufen, oder den Besitzer*innen der Holdings offen mit Strafverfolgung drohten, bis diese die Berichterstattung wieder etwas „mäßigten“.
Die Grenzen der Berichterstattung sind seit einer Änderung im Jahr 2005 im Pressegesetz der Türkei relativ schwammig festgehalten. Es ist zum Beispiel möglich, dass der Staat rechtliche Schritte und Zensur einleiten kann, sobald eine Veröffentlichung das Wohl der Jugend oder des türkischen Staates bedroht. Dieses Gesetz auszulegen ist Aufgabe einer Judikative, die seit der Regierungs-übernahme durch die AKP sukzessive mit geneigten Richter*innen besetzt wurde. In dieser Gemengelage bleibt Journalist*innen in der Türkei nur die Wahl, entweder die Schere im Kopf anzuwenden und durch unkritische Berichterstattung die Verfolgung zu vermeiden, oder täglich mit einer Verhaftung zu rechnen.Bislang hatte sich das Militär in der Türkei stets als Instanz zum Erhalt der kemalistischen Staatsordnung erwiesen und, demokratisch gesehen höchst zweifelhaft, quasi als fünfte Gewalt deren Einhaltung durchgesetzt. Der gescheiterte Putschversuch im vergangenen Jahr hat allerdings die Grundlage für eine Neuaufstellung der Streitkräfte gelegt, sodass diese Ihre Rolle aufgegeben haben und die Regierung seither noch wesentlich schamloser gegen unliebsame Journalist*innen vorgeht. Verhaftungen erfolgen in noch höherer Zahl und die zur Last gelegten Verbrechen klingen immer fantastischer.
Was genau die Ziele der aktuellen Regierung sind, lässt sich nur sehr undeutlich mutmaßen. Nach dem erfolgreichen Referendum des Präsidialsystems, der erfolgreichen Unterdrückung der kritischen Berichterstattung, der Gleichschaltung der Justiz und der Beseitigung des militärischen Wiederstandes sind der Umsetzung dieser Ziele nur noch Grenzen in der Fantasie der Regierenden gesetzt. Die Türkei dürfte uns in den kommenden Jahren als nahe gelegenes und mahnendes Beispiel gelten, was passiert, wenn Journalist*innen nicht mehr frei berichten können. Sicher nichts Gutes.
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