Rassismus über Kandel

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Am Sonntag, den 28.01.2018 fand der durch Marco Kurz angemeldete Demonstrationsmarsch des (bislang unbekannten) „Frauenbündnis Kandel“ statt. Die Truppe marschierte durch die etwa 8000 EinwohnerInnen beherbergende Kleinstadt, um dem einen Monat zurückliegenden Mord an einem Kandeler Mädchen zu gedenken – und um diese „Bluttat“ als Aufhänger für Kundgebungen zu nutzen.

Ganz klar ließen die Herren den Frauen den Vortritt: Eine Kette von besorgten BürgerInnen schritt voran, mit von den OrganisatorInnen bereitgestellten Bannern: „Kandel ist überall“, „Offene Grenzen, kein Verstand, wer schützt unser Land?“ und „Multikultiwahn greift unsere Kinder an“, proklamierten die Transparente. Getragen wurden sie von Menschen, die sich ausdrücklich nicht als Neonazis verstehen. Ausdrücklich, und nicht ausschließlich. Viele fühlen sich einem bürgerlichen Milieu zugehörig. Es waren gewiss nicht ausschließlich selbstbezeichnende Neo-Nazis, die am Sonntag durch Kandel marschierten, und einige wissen nicht so recht, wohin mit sich – weder links, noch rechts verorten sie sich selbst, das sei so einfach ja auch nicht immer zu beurteilen, immerhin ginge es ihnen um die Sicherheit und Souveränität aller Deutschen. Auch die, der Frauen – ehm, der deutschen Frauen.

Die Redebeiträge dieser politischen Querfront handelten vor Allem von Angst. Angst vor der Fremde und der Ohnmacht, die sie mit sich bringt. Es waren die Redebeiträge von Menschen, die die komplexe Welt der globalen Politik-, Firmen- und Medienlandschaft als ein großes, verschworenes Konglomerat wahrnehmen, deren Entscheidungen sie sich schutz- und hilflos ausgeliefert fühlen. So als ob „da oben“ keine Einzelakteure mit eigenen Interessen wären, sondern nur ein großer, supermächtiger Klotz mit genau dem einen Plan, ausgerechnet den Deutschen das Leben so richtig ungemütlich zu machen. Es waren sogar Redebeiträge von Menschen zu hören, die – ausdrücklich – Angst vor der Wiederkehr des Faschismus hätten. „Ihr könnt euch hier sicher fühlen“, betonte Marco Kurz gleich zu Anfang gegenüber seinem Publikum, das größtenteils nicht aus Kandel stammt, sondern aus dem ganzen Bundesgebiet angereist kam. Sicherheit wollen diese Menschen, die sich sorgen und fürchten. Sicherheit, ja, aber eben nur für Deutsche.

Ganz Deutschland und Teile Europas blickt mittlerweile auf diese unrühmliche Bewegung, der die globale, reale Vielfalt des Planeten Erde unbequem wird und die sich mit Mauern und Schussanlagen rund um Deutschland oder Europa vor dieser vielfältigen Realität vermeintlich schützen will. Und dabei immer wieder dieser Satz: „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“ Was für eine schreckliche Ironie.

„Merkel muss weg! Merkel muss weg!“, war eine weitere dominierende Parole, die ohne kontextualen Rückhalt lautstark wiederkehrend die RednerInnen unterbrechen ließ. „Merkel muss weg!“ Diejenigen, die hier um ihre eigene Sicherheit und die Wiederkehr des Faschismus fürchten, griffen im nächsten Moment die Entscheidungskraft und die Legitimität der Demokratie an. Es wurde nicht etwa nach Lösungen im Sinne der Menschenrechte und Nächstenliebe gerufen, die die RednerInnen für sich selbst und ihren deutschen Volkskörper in Anspruch nahmen. Diejenigen, die auf der kleinen Gegendemonstration für gemeinsame Lösungsansätzen ob der globalen Problematiken einzustehen suchten, wurden von einer RednerIn abgetan als Leute, „die sich hier aufführen, als hätten sie die Ethik und Moral gepachtet.“, um kurz darauf selbst „für die Nächstenliebe“ gegenüber der ermordeten Mia zu werben. Jemand befestigte derweil ein Schild an eine Laterne: „Mia Valentina Platz“. Menschen trauerten, und bestimmt waren authentische, traurige und bestürzte Beiträge zu hören. Doch das Getöse zwischen den Reden blieb immer gleich, und worum es dem Kollektiv wirklich ging, das las sich aus diesen wiederkehrenden Parolen heraus: „Wir sind das Volk!“, „Merkel muss weg!“.

Es ging in dieser Veranstaltung offensichtlich nicht um konstruktiven oder gar trauernden Austausch. Es ging um die gemeinsame Weiterkonstruktion einer feindlichen Umwelt, die es auf die innere Hygiene eines vermeintlichen deutschen Volkskörpers abgesehen hat. In diesem Volkskörper ist jeder Mensch, der nicht als Deutscher angesehen wird, ein Fremdkörper, ein Parasit, ein potenzieller Krankheitserreger. Doch es existiert kein solcher Volkskörper, der nach Außen geschützt werden könnte. Diese Bioanalogie  ist überholt worden von den Geisteswissenschaften, ja zu aller mindest von der Geschichte selbst- mit fatalen Folgen. Die Menschen haben Menschenrechte und inklusive Ideale erarbeitet. Warum nur wird schon wieder (oder noch immer) an diesem Volkskörper festgehalten, als wäre er ein empirisches Faktum? Diese selbsterklärten Stammes- und Biodeutschen, die hier am Sonntag wieder nach Reinheit riefen, haben ihre Vorfahren genau dort, wo auch alle anderen Menschen ihre Vorfahren verorten können. Wann genau soll der reine Deutsche entstanden sein? Weder die willkürlichen und durch Kriege gezogenen Nationalgrenzen, noch das Pochen auf nach innen gerichtete Gleichheit kann weder etwas an der Gleichheit aller Menschen, noch an den Unterschieden innerhalb der eigenen Gruppe ändern. Welches Merkmal oder welche Kombination aus Merkmalen mag es wohl sein, die eine Deutsche zu einer Deutschen macht? Wie genau wird man deutsch genug, um einen Menschen zum vollwertigen Menschen zu machen, um Anspruch auf die Menschenrechte zu haben? Durch ein Shibboleth? Durch die Bekennung zur deutschen Verfassung? Durch das Wahrnehmen der Meinungsfreiheit? Durch den Hass auf ‚Fremde‘? Durch die Angst vor Überfremdung?

Nein, es ging am Sonntag nicht um konstruktiven Austausch oder gar Trauer. Es ging um das gemeinsame Konstruieren einer Welt, in der die anderen noch viel mehr vom Kuchen bekommen würden, als die armen, verängstigten und bedrohten Deutschen. Es ging um das Konstruieren und Isolieren eines Deutschlands, in dem die Sorgen der deutschen BürgerInnen von der „Politiker- und Medienmafia“, und der „Lügenpresse“ ignoriert blieben, weil sie den Systemkonstrukteuren nicht passen würden. Doch erstens haben Pegida, AfD und Co. in den letzten Jahren sogar eine Überrepräsentation in den deutschen Medien erfahren, und zweitens gibt es einfach nicht viel mehr zu berichten über diese stagnierende Bewegung derjenigen, die ihre gemeinsamen und eigenen Sorgen nicht diskutieren, sondern ausschließlich – und immer, immer wieder – proklamieren. Auch am Sonntag wurden diese Sorgen und Ängste in aufrechnenden Reden vorgekaut, ausgekotzt und wieder geschluckt. Redebeitrag für Redebeitrag, unterlegt mit rassistischen und entmenschlichenden Ressentiments. Und dabei blieb es – schon wieder. In all den Jahren dieser Bewegung ist noch immer nichts öffentlich verwertbares entstanden. Nur der Hass, der scheint gewachsen zu sein. Diese einzige und absolut unpraktikable wie unmenschliche Lösung, die in all den Jahren in dieser Bewegung entstanden ist, lautet: Die Ausländer müssten weg. Die nicht-deutschen seien das Problem. Die wären das Übel in dieser exklusiv-deutschen Welt, die müssten einfach weg. So schnell wie möglich, so viele wie möglich. Irgendwie. Warum sie herkommen? Egal. Wo sie herkommen? Egal. Wo sie hin sollen? Egal. Hauptsache nicht hierher. Hier ist Deutschland, und Deutschland fürchtet sich. Dann wird es schon wieder herausgewürgt: „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Wir haben Sorgen! Wir haben Ängste!“ Gerade so, als ob es das Selbstverständlichste wäre, mit seinen Sorgen und Ängsten – rational oder nicht – völlig unreflektiert in der Öffentlichkeit hausieren zu gehen. Gerade so, als ob es irgendwie zweckdienlich wäre, sich einer lähmenden und egoistischen Angst hinzugeben, statt sein Bestes zu geben, diese Welt ein bisschen besser für alle zu machen. Woher kommt eigentlich diese Idee, dass jede Sorge, jede Angst einzig aufgrund ihrer bloßen Existenz berechtigt und zu veräußern sei? Seit wann zum Teufel gilt Angst als ein guter Ratgeber? Woher kommt diese verdammte Idee, dass kein Unbehagen mehr hinterfragt werden muss – dass jede empfundene Emotion und Assoziation mitsamt spontaner Bewertung nicht mehr infrage gestellt zu werden braucht?

Nein, es ging am Sonntag nicht um das Lösen von Problemen. Es ging um die Weiterkonstruktion einer Welt, in der nur „Wir“, nur wir Deutschendas Volk“ seien, das seine Ansprüche auf Würde, Hilfe, Sicherheit geltend machen dürfe. Das ist aufstrebender Faschismus, und das ist verdammt real.

Kandel wurde am Sonntag Zeuge des öffentlichen Auftritts einer teils faschistoiden, teils offen faschistischen Bewegung, die trotz der eigenen Sorgen ob der offensichtlichen globalen Herausforderungen die Vielfalt auf diesem unser aller Planeten nicht als eine Tatsache anzuerkennen vermag. Einer Bewegung, die sich weigert, Menschen anderer Hautfarbe, anderer Religion oder anderer Staatszugehörigkeit als Menschen anzuerkennen und darüber hinaus die Taten von MigrantInnen ausschließlich auf genau diese Merkmale zurückführt. Da wird kein Platz mehr gelassen für komplexe Psyche, wie der Deutsche sie hat. Der Mord an Mia war dieser Rhetorik folgend kein Verbrechen eines Menschen, sondern das Verbrechen eines Immigranten. Und darum wird sich so sehr daran gelabt. Darum wird diese Tat so respektlos politisiert. Fast 150 Frauen wurden 2017 in Deutschland von ihren Ex-Partnern ermordet. Doch das ist dieser Bewegung egal. Ihre TeilnehmerInnen können das nicht sehen. Sie suchen – bewusst, oder unbewusst – nach Grundlagen, um den eigenen Hass auf Immigrierte zu fundieren und weiter auszubauen. Was am Sonntag in Kandel passierte, das war öffentliche Entmenschlichung.

In den Augen derer vor dem Rathaus bestand die parteiübergreifende Gegenveranstaltung aus „Antifanten mit Pfeifen, wie immer, das ist das Markenzeichen dieser Hygienophoben“. Sie werfen den Gegendemonstranten außerdem vor, sie würden diese feierliche Trauerkundgebung rücksichtslos, respektlos und allzu laut für die Eigenpräsentation und politische Zwecke ausnutzen. Zugegeben, es wurde sehr viel Lärm gemacht. Primitiver Lärm gegen primitive Ressentiments. Mit Tröten, Pfeifen, Rufen. Und nicht ohne Selbstironie. Man behielt die gute Miene zum bösen Spiel. Dort drüben formierten sich die Faschisten, teils ohne es zu bemerken, und auf der anderen Seite versuchten sie, der Welt zu zeigen, dass Widerstand gegen rechts nicht den Linksradikalen vorbehalten ist, sondern vornehmlich einen friedlichen Akt darstellen muss – und kann. Das war allen wichtig, und das haben alle bewiesen. Nach planmäßiger Auflösung gingen die TeilnehmerInnen auf Bitten des bemerkenswert großen Polizeiaufgebots in Gruppen und in großen Bögen um das Rathaus herum nach Hause.

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