Völker hört die Empörung!

Der Notre Dame brennt. Bildrechte liegen bei: https://3.bp.blogspot.com/-gwYY6hhhrPk/XLT5oNWRksI/AAAAAAAB6vU/Tk1N51fGMfQKWVa8yCGe1bECvOxunlJ9gCLcBGAs/s1600/notre%2Bdame%2Bfire.jpg

Die linke Filterblase überschlägt sich ja dieser Tage in Schuldzuweisungen und Empörungen. Es geht um den Brand des Notre Dame. Die Politiker:innen überschlagen sich mit Beileidsbekunden, Frankreich ist in einem Schock, wie es ihn nur von Terroranschlägen kennt. Der Unfall und immens Sachschaden am Gebäude soll laut Macron in fünf Jahren wieder repariert sein und die meisten Kulturschätze sind gerettet. Die Finanzierung des wieder Aufbaus ist auch gesichert. Der französische Staat, der seit der Jakobinerherrschaft die Schirmherrschaft und Pflege dieser Kirche hat, kommt auf und mehrere Multimilliardäre haben immense Summen aus ihrer Portokasse gespendet. Soweit, so gut. Hier beginnt nun aber das eigentliche Problem, gerade in den Timelines innerhalb des linken Spektrums. Es füllt endlose Zeilen geschriebenes und fächert sich in mehrere Kritikpunkte auf. Ich möchte die hier mal ein wenig auflösen.

Es ist ja nur eine Kirche

Ja es ist nur eine Kirche, dass ist vollkommen richtig. Diese Kirche hat einen immensen Wert, da sie in architektonisches Meisterwerk ist und eine der ersten Großkirchen frühgotischer Zeit. Der Kulturschatz den das Gebäude an sich einnimmt ist damit schon immens hoch. Kirchen können wiederaufgebaut werden, können wieder restauriert werden und das ist gut so. Linke Kritik aus einem laizistischen Kontext heraus macht nur beim Notre Dame keinen Sinn. Der Brand der Kirche ist nicht als institutionelle Kritik zu werten, da sie zum einem schon lange nicht mehr der katholischen Kirche gehört und zum anderen der Kampf gegen die Kirche als feudalistische Ausbeutungsinstitution in Frankreich seit 1789 gewonnen ist. Ungefähr um diese Zeit begannen auch die Jakobiner der Verantwortung für die Wahrung solcher Kulturschätze zu übernehmen und überführten sie in staatliches Eigentum.
Menschen bauten Kirchen, da sie sich nach etwas besserem sehnte. Ein anderer Zustand. Kirchen haben daher etwas zutiefst Dialektisches. Viele Kathedralen beziehungsweise ihre Baustellen waren oft zentrale Punkte des Lebens einer mittelalterlichen Stadt. Freie Städte warfen ihr Eigentum zusammen, um sich selbst ein Gotteshaus zu bauen. Zusammenkunft, Arbeit und Wohlstand kamen meistens mit den Kirchenbauten in die Gemeinden. Natürlich waren die Kirchen auch Hauptquartiere der Missionierung und der klerikalen Ausbeutung. Von den Kanzeln dröhnte das „Opium fürs Volk“, dennoch waren Kirchen und die bildliche Vermittlung von Informationen für die damalige Gesellschaft immens wichtig für die Wissensvermittlung. In einer Welt die in Krankheiten, Armut, Analphabetismus und Morast versank, waren die kleinen Lichtblicke einer Vorstufe der Aufklärung. So waren sie Projektionsfläche einer Vorstellung besserer Zustände und genau da kommt der Schulterschluss zum Marxismus. Ein Zeugnis sowohl von Kulturhistorischer als auch gesellschaftlicher Relevanz lüsternd den Flammen zu übergeben ist nicht links. Mit einer solchen Argumentation fällt man zwangsläufig hinter die bürgerliche Aufklärung zurück, die es sich zur Aufgabe machte, Kulturdenkmäler zu schützen, um aus ihnen zu lernen. Die Förderung und der Schutz der menschlichen Existenz, des Intellekts und der kulturellen Entfaltung sind Errungenschaften der bürgerlichen Revolution. Dazu gehört eben auch das Pflegen von Kulturdenkmälern. Das ist keine moderne, zivilisatorische Position, dass ist Antimodern und ein commitment zur Barabrei.

Alle die sich empören kümmern sich nicht darum was wirklich wichtig ist!

Dieses Argument liest sich sehr oft. Meistens geht es um ertrunkene Menschen im Mittelmeer, die Folgen der Klimakrise oder das Leid und Elend in Kriegsgebieten. Zum einem ist menschliche Betroffenheit etwas zutiefst Subjektives. Die einen sind mehr, die anderen weniger betroffen. Es steht überhaupt nicht zu Diskussion was „schlimmer“ ist. Ist es schlimmer, dass jeden Tag Menschen sterben, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind, weil ihnen in ihrer Heimat der Tod durch eine Kugel oder wirtschaftliches Elend droht? Ja natürlich. Diese Frage stellt sich doch auch überhaupt nicht. Wer anfängt die Barbarei des Krieges in Jemen, bei dem nicht nur immens viele Menschen durch Hunger oder deutsche Waffen sterben, aber auch jeden Tag unschätzbare Kulturgüter dem Erdboden gleichgemacht werden auf eine Stufe mit dem Brand des Notre Dame zu setzen macht sich unwürdig für eben diese Debatte. Es ist eine Relativierung aus einer Ohnmacht heraus. Ertrunkene im Mittelmeer, Krieg in Jemen, absterben des Regenwaldes, Zerstörung der Korallenriffe, Umweltverschmutzung, arme Menschen haben eine bis zu 15 Jahren geringere Lebenserwartung in Deutschland als reiche, weltweiter Hunger und vieles mehr tauchen nicht mehr in den Medien auf. Die Themen wurden schon oft bespielt und wir wissen alle etwas davon. Es ist ein Versuch eben diese Themen wieder auf die öffentliche Agenda zu setzen, was ein mehr als gerechtfertigter Grund ist. Dabei dann den moralischen Zeigefinger anzusetzen ist nur grundlegend falsch. Ein Mensch kann betroffen von dem eben aufgezählten Elend sein und gleichfalls vom Brand des Notre Dame. Es ist kein Widerspruch, es sollte den Menschen nicht zum Vorwurf gemacht werden sich mit einem Unglück auseinanderzusetzen, dessen Folgen in fünf Jahren rückstandslos behoben sein werden, um so den schier unendlichen unlösbaren Problemen für einen Augenblick der Betroffenheit zu entfliehen.

Die Reichen spenden nie für soziale Projekte, aber für so eine Kirche ist Geld da!

Beginnen wir bei diesem Punkt mit der politischen Ebene. Die Pariser Bürgermeisterin und Macron sind auf der Suche nach internationalen Hilfen um dieses Symbol von Paris, der Aufklärung und Frankreichs aufzubauen. Dies machen sie natürlich nicht uneigennützig. Paris brennt schon länger, die Menschen von der extremen Linken über die Mitte bis zur extremen Rechten gehen auf die Straße gegen Macrons Sozialpolitiken und gegen die Ungleichheit im eigenen Land. Die Menschen haben Angst und diese wird vom Front National und anderen Rechten Parteien mit Versicherungstheorien unterfüttert. Das Land befindet sich in großer Unruhe und ist tief gespalten. Ein Symbol, ein Identitätstiftender Moment des Zusammenhaltes für ein Wahrzeichen kommt da gerade recht. Politiker:innen können so Symbolpolitik betreiben und vom großen Dunghaufen, den sie durch ihre Neoliberale Politik verursacht haben, ablenken. Es kommt eben gelegen und so wird es auch genutzt. Sich da zu empören bringt wenig, andere Entscheidungen an der Wahlurne zu treffen, auf die Straße für seine Rechte zu gehen bringt da dann doch ungemein mehr.

Der Bourgeois und seine Charaktermaske war noch nie dafür bekannt aus freien Stücken irgendetwas zu spenden für das allgemeine Wohl. Die Multimilliardäre wären keine Multimilliardäre, wenn sie die Armen nicht ausgebeutet hätten. Armut abzuschaffen geht gegen das System, durch das sie Reich geworden sind. Ohne Armut gibt es nicht die Motivation seine eigene Produktivkraft anbieten zu müssen, um sich etwas Geld zu verdienen. Was schon Adam Smith in „Wohlstand der Nationen“ als Antrieb seines entworfenen Systems benannt hat, hat immer noch Gültigkeit. Die gesamte Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx dreht sich um diesen materialistischen Fakt. Diesen Umstand haben anscheinend im Zeitraum eines Dachstuhlbrandes eine Menge selbstverorteter Linker vergessen. Die Spenden von 800 Millionen Euro in das Kinderhilfswerk, die UNESCO oder die Flüchtlingshilfe bringen nichts. All diese Organisationen wurden aus dem Kapitalismus heraus geschaffen, um das verursachte Elend zu kaschieren. Es sind die unterfinanzierten Feuerwehren, die den Kampf gegen die globale Ausbeutung nie gewinnen werden. Wer wirklich etwas ändern will, sollte über Enteignung reden, sollte über Vergesellschaftung reden und vor allem darüber den Kapitalismus endlich zu überwinden. Man wird das obere eine Prozent nicht mit moralischen Apellen dazu bewegen etwas zu tun, was ihren Ureigenen systemischen Interessen widerspricht.

Die Kirche ist nur abgebrannt damit Zizek und Peterson etwas haben worüber sie diskutieren können!

Ich denke bei dieser Aussage herrscht Konsens.

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