Let them Breathe!

Die vereinigten Staaten von Amerika sind in Aufruhr. Ein Land, mitunter hart gebeutelt von der Pandemie erlebt große soziale Unruhen und das seit Wochen. Eine Protestkultur, die versucht eine getrennte Gesellschaft irgendwie zu einen, gegen einen merklich kopflosen Präsidenten, der außer auf Twitter „Law and Order“ in Großbuchstaben zu schreiben seine eigene Überforderung mit der Situation attestiert. Es geht in diesem Meinungsbeitrag allerdings nicht um Trump und die so wichtige Black-Lives-Matter Bewegung in Amerika, es geht um Deutschland und die reine Adaption die hierzulande getrieben wird.

Märtyrertum – bringing the Silence

Um zu verstehen wie alltäglich die rassistische Gewalt in den USA und in Deutschland innerhalb der Institutionen ist, muss man verstehen, dass diese Gewalt keine Ausnahmen macht. Gerade in Deutschland wird George Floyd zu einem Märtyrer, einem Helden stilisiert. Es wird faktisch komplett ausgeblendet, von rechts sogar vollkommen überzeichnen, dass George vor allem ein Produkt der rassistischen Verwerfungslinien seines Landes war. Wenig Perspektive und eine Umwelt die ihn immer weiter unterdrückten wollten, führten Schlussendlich dazu das drei Cops auf ihm knieten, während der vierte nur zuschaute wie ein Mensch ermordet wird. George ist kein Held, er ist ein Opfer. Ihm dieses Status als Opfer zu nehmen, denn so wie ihm geht es abertausenden anderen Mitgliedern von Minderheiten überall auf der Welt, nimmt ihm das Potential der Identifikation. Ihn als Held zu Überzeichnen bedeutet nicht seine Geschichte zu erzählen, sondern die Illusion, die um ihn herum aufgebaut wurde, man lässt damit nicht seine Geschichte atmen, sondern nimmt sie ihm. Gerade der Umstand, dass das traurige Schicksal von George Floyd jeden andern People of Color (PoC) hätte treffen können, macht es zu dem Sinnbild institutionellem Rassismus und zum Sinnbild der Himmelschreienden Ungerechtigkeit die passiert.

Brandown Keith Brown schreibt schon in seinem Artikel für Deutschlandfunk Kultur, dass eben dieses Märtyrertum nur kurzfristig Empathie mit sich bringt und zu einer Verurteilung von Rassismus führt. Diesen Effekt der Kurzfristigkeit kennen wir gerade in Deutschland. Nach dem Terroranschlag von Hanau und dem Mordanschlag an Lübcke war die gesamte Gesellschaft für gefühlt fünf Minuten Unteilbar. Die toten Hosen haben gespielt, es wurde „die größte Party des Jahres“ und kurz danach ging alles seinen Gang. In Deutschland bewaffneten sich weiter Neonazigruppierungen, der Staat schob weiter ab und Philliph und Annika waren weiter nicht daran interessiert strukturellen Rassismus aufzuarbeiten und zu bekämpfen, da das Fest gefeiert war. Ähnliches passiert auch nun bei der reinen Übertragung der Black Lives Matter (BLM) Proteste auf Deutschland. Dabei wird auch vollkommen ausgeblendet, dass die Opfer von strukturellem Rassismus hier auch, schlicht quantitativ, anders gelagert sind. Die Verhältnisse des einen Landes einfach auf das andere zu übertragen sorgt dafür, dass Opfer von Diskriminierung, Gewalt und Unterdrückung, die aufgrund der anderen sozio-ökonomischen Verhältnisse vorherrschen zum Schweigen gebracht werden. Viele der Proteste zum Thema BLM in Deutschland sind vor allem von weißen, mitunter elitären Studierenden oder jugendlichen organisiert und beworben worden, die im besten Wissen und Gewissen gehandelt haben. Ging es Ihnen doch darum auch mal den anderen eine Bühne zu geben, auch mal die PoC zu Wort kommen zu lassen, weil es jetzt an der Zeit wäre, dass was passiert. PoC schreien seit Jahren nach Gerechtigkeit und Anerkennung, niemand hörte zu. PoC schreien seit Jahren nach Akzeptanz, niemand hörte zu. In einer Zeit in der auch Protest, in Deutschland spätestens seit Unteilbar, zu einem Konsumgut geworden ist, hören die Leute wieder nicht zu. Viele Weiße die sich solidarisieren sollten und zwar als Antwort auf intentionellen Rassismus, als Antwort auf die vielen Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems und einen immer autoritäreren auftretenden Staat, geht es ihnen doch mehr um das Darstellen, dass sie ja was tun. Diese Form der Darstellung ist nicht nur eine Form von Ausbeutung an den diskriminierten Menschen, es ist auch gleichzeitig der Verrat an den eigenen Überzeugen, ja Marie und Jonathan, ihr tut nichts für die PoC sondern für eure eigene Social Justice Credibility. Tragt den Protest mit und vereinnahmt ihn nicht.

Wie absurd dieser Habitus der konsumierbaren Identitäten ist, sieht man am besten an Influencern. Mittlerweile so stark sozialisiert, dass meine eine Meinung nicht mehr haben muss, solange man sich – dadurch auch schnell abstreifbar – damit schmücken kann, haben mehrere Influencer sich geblackfaced um auszudrücken, dass sie ja Solidarisch mit den BLM Protesten stehen. Damit haben sie einerseits aus einem sehr privilegierten Standpunkt heraus so getan als wären ihre daily struggle die gleichen wie die von PoC. Marie, du musst keine Angst haben, auch wenn du dir Bräunungscreme ins Gesicht schmierst, dass du zusammengeschlagen wirst, weil der Cop denkt du könntest Drogen im Stadtpark an die Mafia verkaufen. Nein Sina auch du musst keine Angst haben, dass im Supermarkt jemand dich anschreit ihr „[N-Word]“ sollt zurück „wo ihr herkommt“. Diese Form von Aneignung von Protest aus dem Gefühl einer pseudo-liberalen Pseudo-Toleranz heraus überschreibt das Narrativ. Es geht damit nicht mehr um die Diskriminierung und die Benachteiligung und das Auflehnen dagegen, sondern darüber das nicht betroffene Menschen mal für einen Tag weniger so tun müssen, als würden sie die ganze Scheiße mittragen. Auch wenn du das liest und dir gerade überlegst wie viel du jetzt gegen Rassismus getan hast, weil du dein Profilbild geändert hast, du bist nicht besser als die Influencer, du supportest nicht das Movement, du supportest deinen Fame um die Welt zu zeigen wie tolerant du bist und erzählst nicht die Geschichte der Unterdrückten, sondern deine!

Frame Over

Ein anderes Problem der Überzeichnung ist übrigens, dass gerade sich als liberal oder gar als links verstehende Menschen, insbesondere nach Stuttgart auch nicht hinterherkommen den Ereignissen ihre eigene Erzählung aufzudrücken. Die Polizei, gerade in Stuttgart war schon immer rassistisch und hat schon immer – in Zeiten der Pandemie noch mehr – gerade migrantisch Aussehende (!) also nicht direkt als biodeutsch Identifizierbare aus der Innenstadt verdrängt. Dazu übrigens auch alles an Menschen was nicht so aussah als könnte es sich die Louie Vuitton Tasche leisten. Damit haben zwei Gruppen dieselbe Erfahrung der Verdrängung gemacht durch einen Staat, hier vertreten von einem Grünen Oberbürgermeister, der seine Stadt lieber für privilegierte Weiße haben will, als für nicht Privilegierte die arm sind. Nun feiern da eine Vielzahl von Jugendlichen die auch wissen, dass ihre Zukunftsperspektiven dank beginnender Rezession irgendwo zwischen Hartz und herzlich stehen ihre Situation. Dann kommt es zu einer Drogenkontrolle, übrigens ein sehr alltäglicher Vorgang, die dazu führt dass sich der Frust entlädt. Er entlud sich an den Fensterscheiben und an den Autos der Staatsmacht. Diese Gewalt war keine Notwendige Gewalt, aber auch keine neue Dimension von „Gewalt“. Es war vor allem die willkommene Ablenkung für die CDU und CSU mal nicht weiter über deutsche Polizei und Korruption der Unionsparteien zu reden. Es war aber auch keine revolutionäre Gewalt. Man kann wenig bis gar keine Rückschlüsse auf die Gruppe ziehen die sich da angeschickt hat mal eben ein bisschen die Innenstadt zu entglasen. Schon meine Aussage, dass die ganzen Jugendlichen dort vermutlich prekär waren, ist reine Spekulation. Sie liest sich aber gut. Sie liest sich sogar super gut, weil sie in die romantisierte Vorstellung davon passt, dass jetzt hier endlich was ins Wanken kommt, aber kommt es das?

Nicht Stuttgart

An den Vorfällen von Stuttgart wurde auch der taz Autorin Hengameh Yaghoobifarah die Schuld gegeben. Ihr Text sei schuld. Ich persönlich fand die satirische Glosse nun auch nicht überragend, sie ist nur schlicht kein Problem. Ein Problem ist, wenn der Innenminister rechtliche Schritte anwenden will und mal eben die Verfassung, das Grundgesetzt so behandelt als wäre es Scheißhauspapier. Ich wette um zwei Knoppers, wäre es Ulf Porschardt gewesen, hätte er das nicht gesagt. Die taz selbst veröffentlichte eine Verteidigung und gleich drei Gegendarstellungen. Hengameh sollte unsere Solidarität haben, Seehofer unseren Hass. Wenn ein reiner Wendt und viele andere Gewerkschafter und Gewerkschaften, auch der DGB anfangen nun von Polizistenhass zu sprechen fordern sie Toleranz ein und hier beginnt das Problem dieses leidlichen Begriffes der seit Jahren immer wieder mehr und mehr verwaschen wurde und zu einem Herrschaftsinstrument wurde. Kritik muss möglich sein ohne dass der Staat direkt ins Mittelalter fällt und mit Anzeigen droht oder vermeintliche Randalierer von Stuttgart mit Beuteln über den Kopf und Barfuß an der Bild vorbeiführt. Dieses aufbegehren zeigt vor allem Angst vor dem Kontrollverlust, der so gar nicht ansteht. Auch Cops müssen es aushalten können, dass ich durchaus froh bin, wenn sie kommen, weil ich angegriffen wurde, aber auch aus vollster Überzeugung und empirisch belegt sagen kann, dass dieses System Polizei auch in Deutschland Rassismus fördert und selbst praktiziert.

Toleranz und Akzeptanz

Toleranz im liberalen Verständnis der heutigen Zeit bringt einen wunderbaren Mechanismus mit sich, weil sie es schafft in einer Welt voller Ordnung Ambivalenzen auszuschalten. Aber was ist Toleranz. Nach dem Oxford Dictionary ist Toleranz die Fähigkeit Unterdrückung auszuhalten. Aber warum? Dazu hatte Zygmund Baumann bereits eine Idee. Toleranz ist die Fähigkeit etwas auszuhalten was man moralisch eigentlich tadelt. Toleranz ist damit das Einfalltor der Akzeptanz des, in diesem Fall, rassistischen Grundrauschens. Sobald ich beispielweise die Verhältnisse toleriere und eben sage, ja das bei der Polizei ist nicht so schlimm, stütze ich das institutionell rassistische System. Das stütze ich aber ebenfalls ,wenn ich PoC und andere Lebensweise nur toleriere statt sie zu akzeptieren. Im ersten Fall erkenne ich als Individuum meine eigene Ohnmacht an, da das Monopol der Exekutive nicht klar bei mir, sondern beim Staat liegt. Im zweiten Fall schlage ich den benachteiligten ins Gesicht. Ich bete nämlich vor, dass ich sie nie akzeptieren werde, weil ich ihr verhalten eigentlich moralisch Falsch finde, aber doch die Größe habe das auszuhalten. Ich unterdrücke damit aktiv. Ich schiebe durch diese Denkhaltung die Auseinandersetzung und damit auch eine mögliche Harmonisierung vor mir her. Wenn wir als deutsche, weiße Mehrheitsgesellschaft nicht in der Lage sind, andere zu akzeptieren und diese Akzeptanz lernen, sind wir schlicht die Steigbügelhalter der Rassisten. Wir zementieren damit den Status Quo und zelebrieren bei großen Events oder kurz aufploppenden Ereignissen deren oberflächliche Ablehnung. Wer für eine Gesellschaft der Toleranz im liberalen Verständnis, anstatt einer Gesellschaft der Akzeptanz wirbt, hat das Problem nicht verstanden. Mit dieser Form der Toleranz wird nämlich im Grundrauschen denen recht gegeben, die eine Bedrohung der „Leitkultur“ durch Einwanderung sehen. Man ruft ja schlicht dazu auf, andere Einflüsse zu tolerieren, statt zu akzeptieren. Gleichzeitig geht mit dieser Form der Toleranz das Mindset einher, dass eben selbst tief verwurzelte Rassismen in Deutschland und einem selbst einfach akzeptiert.

Gelebte „Toleranz“

Diese Art der Toleranz sehen wir übrigens nicht nur in Deutschland gegenüber dem vermeintlichen Fremden. Dem Staat und einem Großteil der Gesellschaft ist es bewusst, dass in vielen Bereichen Benachteiligung herrscht, die er auch moralisch falsch findet, aber toleriert diese. Er toleriert den Rassismus, er toleriert, dass Rassismus nur nach der Erzählung der Täter nicht der Opfer aufgearbeitet wird. Stichwort: Oury Jalloh das war Mord. Es war Mord, es ist sogar bewiesen das es Mord wahr und dennoch wird sich in semantischen Debatten, die jedem Literaturschaffenden die Schamesröte ins Gesicht steigen lassen darüber Debattiert.

Ambivalenz. Grund der Furcht

Dieses bestreben nach Toleranz und dem zeigen wie tolerant man ist (ja ich meine dich Meike und dein Profilbildwechsel!) ist schlicht das Eingeständnis, dass man es nicht ist. Wer von Integration schwafelt statt von Inklusion, also einer gleichberechtigten Koexistenz verschiedener Meinungsbilder bzw. kultureller Identitäten, fordert die Assimilation im Sinne der Harmonie, oder etwas antiquarisch ausgedrückt: Ordnung. Nach Brown gibt einem diese Form der Toleranz die Möglichkeit zu sagen „Ich sitze im Zug neben Schwarzen, aber: mir gefällt das nicht!“. Ich toleriere sie ja, in meiner Güte, in meiner unendlich weißen Güte. Ich verlange mit dem Schlagwort der Integration, dass diese Menschen sich fügen, faktisch weiß werden damit sie meine Ambivalenz (Dissonanz) auflösen und ich mich nicht mehr unwohl fühlen muss. Dieses Gefühl durch das kurze aufzeigen der eigenen Überlegenheit über eine vermeintliche Pseudo-Solidarität kaschiert immer weiter das darunter liegende Problem und sorgt dafür, dass viele derjenigen die immer wieder Rassismus reproduzieren, sich aber nicht zu den bösen zählen wollen wieder gut fühlen. Diese Feel-Good-Policy der Toleranz sollte im Zuge einer wirklichen Gleichberichtigung und Akzeptanz weichen. Traut euch, euch Unwohl zu fühlen. PoC, Queere Menschen, benachteiligte Menschen fühlen sich jeden. Einzelnen. Verdammten. Tag. Unwohl! Traut euch die Wut zu, dass System nicht zu tolerieren, sondern es zu kritisieren, es zu ändern und in diesem Zuge euch eventuell auch selbst zu reflektieren. Traut euch zu das andere zu akzeptieren, statt nur unter vorgehaltener Hand eure „Toleranz“ zu simulieren. Solange dieser Gedanke nicht bei der Gesellschaft angekommen ist und dadurch weiter die Ungerechtigkeit manifest wird kann es nur lauten:

No Justice! No peace!

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