Politik im Kaffeebecher, täglich

Symbolbild: Ein Lächeln und ein Euro sind nicht die Welt

Wer handelt politisch? Muss man dafür in einer Partei, einer (Jugend-)Organisation oder in Verbänden tätig sein, sich dort engagieren? Oder gibt es nicht auch noch andere Arten, um politisch zu handeln? Ein Essay

Das online verfügbare „Lexikon der Psychologie“ von spektrum.de gibt politisches Handeln an als „planmäßige und absichtsvolle Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, den sozialen und politischen Raum aktiv zu beeinflussen, wobei die Beweggründe dafür personaler wie situativer Art sein können“, ergänzend werden Voraussetzungen dafür wie „kognitive Vigilanz für politische Probleme“ und „die politische Wirksamkeitserwartung“ sowie Beweggründe wie etwa „existentielle Ängste“ [1] genannt.

Interessant ist, dass hierbei nicht explizit von genuin politischen Akteuren wie Parteien, Verbänden oder NGOs die Rede ist. In welcher Art sich politisches Handeln zeigt, bleibt offen. Spricht man im Alltag von politischem Handeln ist damit meist das Engagement in einer solchen Institution gemeint. Engagement heißt (aktive) Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Organisation, die politische Intentionen vertritt.

Doch wir alle handeln täglich politisch, ob bewusst oder unbewusst, ob mit oder ohne Absicht. „Unpolitisch sein, heißt politisch sein, ohne es zu merken“, dieses Zitat wird Rosa Luxemburg zugeschrieben und beschreibt diesen Sachverhalt sehr treffend: Auch wer sich nicht für die Demokratie oder Politik interessiert, handelt politisch, auch wer nicht wählen geht, handelt politisch – und auch wer nicht in einer Partei ist, handelt politisch, kann bewusst politisch handeln.

Unpolitisch sein in einer komplexen Welt

So kann ich einfach ignorieren, wenn in Landau oder anderswo Rechtsextreme demonstrieren. Damit toleriere ich solche Umtriebe. Ich kann ignorieren, dass Menschen auf der Straße leben, verschiedene Bevölkerungsgruppen wie Menschen mit Beeinträchtigung marginalisiert und diskriminiert werden. Damit toleriere ich das alles – und damit vertrete ich eine politische Meinung.

Alle unsere Taten haben Folgen. Verschiedene Wissenschaften, von der Physik über Geschichts- und Kommunikationswissenschaft bis hin zur Psychologie arbeiten mit einer Art der Chaostheorie, womit der Begriff des sogenannten Schmetterlingseffekts eng verknüpft ist, der metaphorisch die Frage stellt, ob der Flügelschlag eines Schmetterlings an einem Ort woanders einen Sturm auslöst. Es handelt sich um Theorien in komplexen Systemen, ebenso wie die Welt komplex ist.

Wer sich heute ein T-Shirt kauft, wird Teil einer Produktionskette, die vielleicht in Bangladesch oder Indonesien ihren Anfang nimmt, wer ein Brot kauft, wird es ebenso, nur dass diese Kette vielleicht in Niedersachsen beim Weizenanbau beginnt (oder in den USA bei Monsanto, die ihre Rohstoffe für Düngemittel wiederum von wo anders beziehen usw. usf.). Man kann es schlicht nicht überblicken, man kann sich auch nicht vollständig entziehen, man muss essen, trinken, konsumieren.

Bei jedem Kauf handelt man so auch ein Stück weit politisch. Das mag bedrückend sein, aber es eröffnet auch neue Wege. Ich muss nicht Teil einer Partei sein, um Produktionsvorgänge und kapitalistisches Wirtschaften zu hinterfragen. Und ich muss auch nicht Teil einer Gruppierung sein, um gegen Nazis auf die Straße zu gehen oder einer stumpfen Parole im Freundeskreis oder im Seminar zu widersprechen.

Symbolbild: Grundsatzdebatten im Tierreich

Die Welt jeden Tag besser machen

Politisch handeln umfasst viel mehr als das Engagement bei typischen politischen Akteuren. Man integriert Geflüchtete im Sportverein. Man gibt Bedürftigen etwas Kleingeld, weil es egal ist, ob man ein paar Cent weniger hat – einem anderen Menschen rettet es aber vielleicht den Tag. Man sagt etwas, wenn auf einer Party ein Typ einer Frau ungefragt auf den Hintern haut. Die Möglichkeiten sind vielfältig.

Man kann die Welt nicht von einem Tag auf den anderen verändern, unsere Gesellschaft und der Kapitalismus werden sich nicht abrupt ändern lassen können. Der Soziologe Dirk Baecker hat dies so beschrieben: „Wir bewegen uns in einem runaway system, das in den Bereichen der Migration der Völker, des Klimas der Erde und der Psychosomatik des menschlichen Lebens Turbulenzen erzeugt, von denen wir nicht wissen, ob wir ihrer je wieder Herr werden. […] [Ein] Spiel, das wir alle spielen und von dem niemand weiß, ob es zu Ende gespielt werden muss, um danach ein anderes finden zu können, oder ob es abgebrochen werden muss, um der Menschheit auf dieser Erde noch eine Chance zu geben. Im Moment wissen wir nur, dass der Abbruch weder zu bewerkstelligen ist noch zu verantworten wäre.“ [2]

Um die Welt zu verändern, müssen wir uns organisieren und engagieren, egal, ob im Verein, in der Partei, einer Gruppierung etc. Wer das – aus welchen Gründen auch immer – nicht kann oder will, kann dennoch versuchen, die Welt jeden Tag ein kleines Stück besser zu machen, indem er oder sie ganz unterschiedlich politisch handelt. Manchmal steckt darin, jemandem zu sagen, dass er bzw. sie ein toller Mensch ist, besonderen Menschen zu sagen, dass man sie lieb hat oder wem einfach zuzuhören, mehr politisches Handeln als in endlosen Grundsatzdebatten.


[1] https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/politisches-handeln/11646 (Zugriff am 30.01.2020)

[2] Baecker, Dirk (2010): Der Manager. In: Stephan Moebius & Markus Schroer (Hgg.): Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart. Berlin: Suhrkamp,261-276 S.264f.

Bildquelle: pixabay.com


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