Plötzlich Märchen – Teil 2

Willkommen zu den Märchen-März-Montagen!

Kapitel 3: Tierische Hilfe

Henry saß noch immer in seinem Käfig fest. Er hatte versucht, sich zwischen den Gitterstäben hindurchzuzwängen, hatte getestet, ob sie wohl aus festem Lakritz gemacht sein könnten, da ja auch ein Teil des Hauses essbar war. Doch all seine Mühen blieben ohne Lohn, er konnte sich nicht befreien.

Die Hexe brachte dem Jungen fast stündlich eine neue Leckerei zu essen, und ein jedes Gericht troff vor Zucker oder Bratenfett. Weil ihm aber klar war, dass die Hexe ihn mästen wollte, nahm Henry nicht einen Bissen.

„Pah,“ dachte er sich, „So blöd wäre ich nicht mal, wenn ich das Märchen nicht kennen würde.“ Doch zu seinem eigenen Leid wusste er auch, dass die Hexe aus „Hänsel und Gretel“ ihr Opfer schließlich auch in schlankem Zustand verspeisen wollte. So blieb ihm nichts weiter, als auf die Hilfe seiner Schwester zu hoffen.

Einige Zeit später, die alte Hexe hatte gerade eine Tüte Pommes in den Käfig geschoben und war wieder im Haus verschwunden, hörte Henry ein paar seltsame Klänge. Es war ihm, als würde eine Gruppe von Wanderern durch den Wald spazieren und sich ein Liedchen singen. Und dennoch… ihre Stimmen kamen dem Jungen reichlich seltsam vor: Er meinte, ein wieherndes Gelächter zu hören, dann einen bellenden Bass, ein musikalisches Miauen. Übertönt wurden diese Klänge einzig von einem hellen „Kikeriki“, das zum Schluss jeder Strophe erscholl.

Wie gebannt lauschte der Junge dem seltsamen Lied, bis die Sänger endlich zwischen den Bäumen in Sicht kamen. Die er da sah, waren: Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Gockelhahn.

„Na nu!“, kläffte der Hund. „Da sitzt doch einer im Käfig.“

„Den siehst du erst jetzt?“ Entgegnete spöttisch die Katze. „Deine Augen sind wirklich nicht mehr die besten.“

Da mischte sich auch schon der Esel ein, welcher den Gockel auf seinem Rücken trug: „Ruhig, ihr beiden Streithähne! Es sieht mir so aus, als hätten wir ein Räuberhaus gefunden.“

„Jetzt nenn sie nicht immer Streithähne!“, erboste sich der Hahn. „Ich und meine Artgenossen haben nicht das Geringste damit zu tun.“

„So seid doch still!“, rief erneut der Esel, ohne auf die Beschwerde des Hahnes einzugehen, und endlich verstummten seine ungleichen Begleiter.

Henry aber, der die Szene voll Staunen beobachtet hatte, winkte die Musikanten wie wild zu sich heran. Einen Mucks zu machen, traute er sich nicht, weil die Hexe in der Stube ihn hören könnte. Erst, als die Katze vorsichtig herangeschlichen war, begann er, zu flüstern:

„Ihr seid die Bremer Stadtmusikanten, hab ich recht?“, fragte er.

Die Katze ließ ein Schnurren hören. „Wir wollen‘s gewiss werden,“ sprach sie. „Dass unser Ruf uns so weit vorauseilt, hätte ich allerdings nicht erwartet.“

„Doch, doch,“ versicherte ihr der Junge, „und euer Wanderlied klang auch… ganz bezaubernd! Am liebsten würde ich gleich Musiker werden, wäre da nicht die Hexe, die mich kochen will.“

„Dich kochen?“, krähte der Hahn entsetzt. Er war ein Stückchen herangeflattert, um das Kind im Käfig hören zu können. „Das wäre mir auch fast passiert! Und die andern drei wurden beinah dem Hungertod überlassen, erschlagen und ersoffen!“

„Wie schrecklich!“, rief der Junge aus. „Könnt ihr mir vielleicht helfen, damit ich weiterleben kann, genau wie ihr?“

Das ließen sich die guten Tiere nicht zweimal sagen. Sie besahen sich den Riegel, der den Käfig verschloss, und die Katze holte den Hund herbei. Geübt sprang sie ihm auf den Rücken und drückte mit ihrem Köpfchen den Riegel zur Seite. Da konnte Henry das Gitter aufstoßen und war endlich frei. Gemeinsam mit den Tieren lief er in den Wald hinein, weil die Hexe gewiss nach ihm suchen würde. Und tatsächlich: Sie waren gerade ein gutes Stück entfernt, da hörten sie aus der Richtung der Hexenstube ein schrilles Wehgeschrei, das ihnen durch Mark und Bein ging. Die Gefährten beschleunigten ihre Schritte.

„Es ist an der Zeit für eine Entscheidung,“ sprach nach einer Weile der Esel. „Wir ziehen weiter Richtung Bremen. Du könntest mit uns kommen, denn etwas Besseres als den Tod, finden wir überall.“

„Ich bin euch unglaublich dankbar,“ entgegnete Henry, „aber ich muss hier im Wald nach meiner Schwester suchen.“ Und so gingen der Junge und seine tierischen Freunde getrennte Wege.

Kapitel 4: Greta und der Frosch

Greta und der Frosch waren schon eine ganze Zeit lang unterwegs, doch der Wald wollte einfach kein Ende nehmen. Da die müden Beine des Mädchens es kaum noch trugen, entschied es sich für eine Rast. Es aß ein wenig von den Sachen aus dem Korb, den es noch immer bei sich trug, und gab auch dem Frosch zu Essen.

Wie sie da so im dunklen Wald saßen, sahen die beiden plötzlich einen warmen Lichtschein. „Was ist das denn?“, wunderte sich Greta. „Sieht aus, als hätte einer ein Lagerfeuer gemacht.“

Das Mädchen lief, von einer unerklärlichen Neugier erfasst, dem Licht entgegen. Der Frosch aber blieb in Sorge zurück, er konnte so schnell nicht hüpfen.

Während Greta lief und der Feuerschein immer größer wurde, hörte sie alsbald auch ein Kichern und Krächzen, das ihr ganz unheimlich war. Sie verlangsamte ihre Schritte und ging leise von Baum zu Baum, bis sie eine kleine, gebückte Gestalt ausmachen konnte, die um ein hohes Feuer sprang. Erst fragte sie sich, ob das wohl ein Zwerg sein könnte, doch dann erkannte sie die Verse, die das Wesen so schauerlich vor sich hinsang:

„Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hole ich der Königin ihr Kind; Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!“

Da wusste Greta, wer das Männlein war, und sie lief schnell ihren Weg zurück, bis sie den Frosch wiedergefunden hatte. Sie erzählte ihm von ihrer Beobachtung und sagte: „Ich weiß ja, wie das Männchen heißt und darum kann eigentlich nichts passieren. Aber böse ist es trotzdem.“

Und so machten sie sich endlich wieder auf den Weg und erreichten alsbald den Pfad, an dem auch die Backstube der Hexe stand.

„So“, sagte der Frosch, „jetzt seid bitte so gut und lasst mich herunter, damit ich erspähen kann, wo sich die Hexe gerade aufhält.“

Greta senkte ihre Hand und der Frosch sprang herab. „Ich hoffe, Euer Bruder ist nicht von der schreckhaften Sorte,“ quakte er noch, bevor er mit großen Sprüngen davonhüpfte.

Aber ach! Der gute Frosch fand nichts als einen leeren Käfig und kehrte mit dieser Nachricht zu Greta zurück. Das Mädchen begann zu weinen, aber es war noch nicht bereit, seinen Bruder tot zu glauben. „Gewiss ist er fortgelaufen, also muss ich ihn suchen!“, sagte sie.

Als er das hörte, wurde dem armen Frosch ganz schwer ums Herz. „Dann müsst Ihr ohne mich weiterziehen, in dieser Sache bin ich Euch bloß eine Last. Ich hatte gehofft, bei der Befreiung Eures Bruders zu helfen, um dann… aber das spielt nun keine Rolle mehr.“

Da entsann sich Greta der Geschichte des Froschkönigs, hob ihn vom Boden auf und sah ihn lange an: „Ich kann einfach nicht glauben, dass ich erwarte, dass das funktioniert!“, sagte sie und drückte dem Frosch schnell einen Kuss auf seinen breiten Mund.

Und siehe da! Im nächsten Moment saß ein schöner junger Mann vor dem Mädchen im Gras. Er war in einen grünen Mantel gehüllt und lächelte erlöst. „Ich danke Euch von Herzen!“, sprach er, und ließ sich von Greta auf die Beine helfen.

„Am liebsten würde ich Euch bitten, mit mir zu kommen, um einmal meine Frau zu werden. Aber Ihr müsst Euren Bruder finden und ich kann nicht bleiben, mein Reich ist fern von hier.“

„So sieht es wohl aus“, sagte Greta, der die Verwandlung des Froschkönigs noch immer etwas unheimlich war. Zu zweit liefen sie den Pfad entlang, bis schließlich eine Kutsche aus dem Wald auftauchte und vor ihnen zum Stehen kam.

„Hier kommt der eiserne Heinrich, der mich nach Hause bringt,“ sagte der Froschkönig und küsste zum Abschied sanft Gretas Hand. Sie schaute verwundert dabei zu, viel erstaunter war jedoch der junge König, da sie ihn im nächsten Moment umarmte.

Als der Abschied einmal vorbei war und die Kutsche wieder davonrollte, sah Greta ihr noch nach, bis sie nichts als ein kleiner Punkt war und kurze Zeit später gänzlich verschwand.

Fortsetzung folgt …

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