Von Carolin Steinhage
Ist Dir das auch schon mal passiert, dass Dir nach einem ersten Treffen mit einer Person (zum Beispiel einem ersten Date) Gedanken in den Kopf geschossen sind wie Habe ich vielleicht zu laut gelacht? oder Ich habe bestimmt so gewirkt, als wäre ich mega schüchtern!? Oft steckt die Angst dahinter, einen schlechten ersten Eindruck hinterlassen zu haben. Dass dieser eine große Rolle spielt, ist allgemein bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass wir mit ihm nicht immer richtig liegen. Nicht selten zeigt sich erst auf den zweiten Blick, dass jemand, den man zunächst nicht leiden konnte, eigentlich ganz in Ordnung ist. Doch wie kann es eigentlich sein, dass wir uns manchmal so verschätzen? Und noch viel wichtiger: Können wir darauf hinwirken, in ersten Gesprächen immer gut anzukommen?

Wenn wir einer fremden Person zum ersten Mal begegnen, bilden wir uns innerhalb kürzester Zeit einen ersten Eindruck über sie, der unseren nachfolgenden Umgang mit ihr maßgeblich prägt. Dabei greifen wir direkt auf uns leicht zugängliche Informationen über sie zurück: ihre Kleidung, ihr Duft, ihre Mimik – all diese Merkmale spielen hierbei eine große Rolle. Schon weniger als eine zehntel Sekunde reicht aus, damit Betrachter eines ihnen unbekannten Gesichts auf bestimmte Eigenschaften der dem Gesicht zugehörigen Person schließen, wie unter anderem deren Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit.12 Feminine Gesichter werden beispielsweise als vertrauenswürdiger und weniger dominant eingestuft als maskuline. Je mehr Zeit Probanden für ihr Urteil haben, desto mehr Vertrauen haben sie in dieses, revidiert wird es zunächst allerdings nicht. Das heißt, dass wir in einem Bruchteil einer Sekunde nach Erblicken einer fremden Person schon unseren eigenen kleinen „Steckbrief“ über sie im Kopf haben – natürlich einen sehr oberflächlichen – und erstmal nicht ganz so offen dafür sind, ihn anzupassen. Problematisch wird das vor allem bei Entscheidungen in sozialen Kontexten, die eigentlich sorgfältig durchdacht und abgewägt werden sollten. Darunter fallen die Auswahl von Führungskräften in Unternehmen, die Beurteilung von Schuld und Kriminalität oder die Wahl einer neuen Regierung. Ein Politiker beispielsweise, dessen Gesicht von Versuchspersonen als besonders kompetent eingeschätzt wird, hat bei Wahlen einen Vorteil gegenüber Konkurrenten, deren Gesichtszüge diese Assoziation nicht so stark hervorrufen, und ein Straftäter kann im Gerichtssaal von seinem vertrauenswürdig wirkenden Gesicht profitieren, wenn es um sein Strafmaß oder seine Verurteilung geht.34
Besonders gut belegt ist außerdem der Effekt, den ein sehr prägnantes Merkmal einer Person auf die Vervollständigung unseres ersten Eindrucks über sie haben kann. Der sogenannte Halo-Effekt (halo = Heiligenschein) bezeichnet einen Urteilsfehler, der daraus resultiert, dass wir von einem sehr markanten Merkmal einer Person auf weitere Eigenschaften dieser schließen, ohne, dass dafür eine objektive Grundlage vorliegen muss.5 Er wurde 1907 erstmals von dem amerikanischen Psychologen Frederic L. Wells beobachtet und anschließend von dem Psychologen Edward L. Thorndike untersucht.6 Besonders gut belegt ist der attractiveness halo effect, also die Wirkung äußerlicher Attraktivität einer Person auf unsere Ersteinschätzung. Menschen, die wir äußerlich attraktiv finden, schreiben wir unbewusst auch weitere positive Eigenschaften wie Intelligenz, Durchsetzungsfähigkeit oder Dominanz zu, in sozialen Medien wird häufig auch von dem „pretty privilege“ gesprochen. Ein bedeutungsvolles Beispiel hierfür liefert der US-Amerikaner Jeremy Ray Meeks. Ursprünglich wegen illegalen Waffenbesitzes und schweren Diebstahls im Rahmen einer Gangmitgliedschaft zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, brachte die Veröffentlichung des Polizeifotos des Mannes mit stahlblauen Augen und markanten Gesichtszügen im Jahr 2014 das Internet in Aufruhr.7 Tausende Frauen kommentierten sein Bild auf der Facebook-Seite der Polizei – er sei doch viel zu heiß, um ins Gefängnis zu kommen – und schienen dabei zu vergessen, dass es sich bei ihm um einen verurteilten Straftäter handelt. Die Behörden ließen sich von seinem Aussehen nicht täuschen (seine 27-monatige Haftstrafe musste er dennoch absitzen), allerdings erkannte Meeks‘ Manager früh dessen Potenzial und legte rechtzeitig die Weichen für seine Modelkarriere. Knapp drei Jahre später war der als „heißester Verbrecher Amerikas“ bekannte Mann bereits bei der New York Fashion Week auf dem Laufsteg zu sehen und hatte seine ersten Modelverträge unterschrieben.
Meeks ist ein gutes Beispiel für die Wirkung, die ein besonders hervorstechendes Merkmal einer Person auf unsere Meinungsbildung über sie haben kann. Das gilt, wie bereits angedeutet, nicht nur für Attraktivität: Im Rahmen des Halo-Effekts können auch Merkmale wie eine körperliche Behinderung oder außergewöhnliche Leistungen einer Person dazu führen, dass wir unsere ersten Eindrücke über sie auf ihre gesamte Persönlichkeit generalisieren, ohne, dass dafür tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Unser erster Eindruck ist also alles andere als objektiv und fundiert – wie denn auch, wenn er in so kurzer Zeit gebildet wird. Es gilt also, sich stets ins Gedächtnis zu rufen, dass es eben nur ein erster Eindruck ist, dem noch viele weitere folgen können.
Bleibt also die spannende Frage, ob es angesichts der Geschwindigkeit, in der wir unsere Urteile fällen, überhaupt möglich ist, den ersten Eindruck, den man selbst bei anderen hinterlässt, zu beeinflussen. Es ist sicherlich schwierig und furchtbar anstrengend, innerhalb von 34 Millisekunden beim ersten Blickkontakt mit einer fremden Person auf alle möglichen Faktoren zu achten, die bei ihr einen vermeintlich schlechten Eindruck hinterlassen könnten. Manche Aspekte, insbesondere die vorhin erwähnten Gesichtszüge, sind oft auch beeinflussbar. Dennoch gibt es ein paar grundlegende Dinge, die man beachten kann, um zumindest die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, bei den allermeisten Menschen einen positiven ersten Eindruck zu hinterlassen, auch jenseits weniger Millisekunden. Im Kontext von Bewerbungsgesprächen ist es beispielsweise der feste (aber nicht zu feste!) Händedruck, der dem Gegenüber den Eindruck von Extraversion und emotionaler Ausdruckskraft vermitteln kann.8 Auch ein freundliches, echtes Lächeln (erkennbar an kleinen Fältchen um das Auge herum) und eine aufgeschlossene Körperhaltung (Arme nicht vor der Brust verschränken, Rücken aufrecht) wirken auf andere positiv. Neben diesen nonverbalen Aspekten spielt auch die Interaktion im Gespräch eine bedeutende Rolle. Ein Forscherteam der Virginias Tech University fand heraus, dass Menschen, die ein hohes Maß an kognitiver Empathie an den Tag legen, im Gespräch mit fremden Personen einen besseren ersten Eindruck hinterlassen als Personen, deren Fähigkeit zur Perspektivenübernahme nicht so hoch ausgeprägt ist.9 Laut dem psychologischen Konzept der Theory of Mind (ToM) besitzen Menschen eine hohe kognitive Empathie, wenn sie dazu in der Lage sind, Handlungen anderer Personen aufgrund von Informationen über deren Absichten und Ziele einerseits und deren Überzeugungen und Glauben andererseits vorherzusagen.10 Einfach formuliert: ToM bezeichnet die Fähigkeit, sich mentale Zustände bei anderen Menschen vorzustellen – also zu erkennen, dass andere Gedanken, Gefühle, Überzeugungen, Absichten und Wünsche haben, die sich von den eigenen unterscheiden können. Daraus kann dann abgeleitet werden, wie sich andere wohl zukünftig verhalten werden oder wie man sich selbst verhalten sollte. In der eben genannten Studie konnte gezeigt werden, dass ToM sich in Verhaltensweisen niederschlägt, die relevant für soziale Interaktionen sind. Personen mit hohen ToM-Skills und einer hohen Motivation, diese auch anzuwenden, legten in einer Kennenlernsituation mit einer anderen Person eine erhöhte Sensibilität für die Perspektive, Wünsche und Absichten ihres Gegenübers an den Tag. Und genau diese Sensibilität führte zu einem besseren ersten Eindruck beim Gesprächspartner. Daraus leiteten die Forschenden ab: Menschen, die sich gut in andere hineinversetzen können, reagieren sensibler auf sie und kommen daher bei der ersten Begegnung besser an. ToM ist eine Fähigkeit, die sich in der Regel vom Kleinkindalter an entwickelt und mit zunehmendem Alter immer präziser wird.11 Im Seniorenalter nimmt sie wieder ab.12 Inzwischen gibt es auch spezielle Trainings zur Theory of Mind im Kindes-, Erwachsenen- und Seniorenalter sowie bei Autismus-Spektrum-Störungen, wobei noch nicht eindeutig geklärt ist, wie gut sich die trainierten Fähigkeiten auf den Lebensalltag übertragen lassen.12
Grundsätzlich gilt jedenfalls: Regelmäßige soziale Interaktionen können dabei helfen, mit der Zeit ein Gespür dafür zu entwickeln, in welchem mentalen Zustand sich das Gegenüber gerade befindet. In Situationen, die meistens ähnlich ablaufen – wie Bewerbungsgesprächen – gilt der Grundsatz Learning by doing. Außerdem ist es sehr wichtig, sich selbst nicht unter Druck zu setzen. Wer im Gespräch mit einer anderen Person krampfhaft darauf achtet, wie er/sie denn jetzt beim Gegenüber ankommt, kann der Unterhaltung automatisch nicht so gut folgen. Und nichts ist schädlicher für den ersten Eindruck als das Gefühl, dass der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin einem gar nicht richtig zuhört. Sich völlig zu verstellen ist furchtbar anstrengend und auf Dauer auch nicht besonders nachhaltig, schließlich bröckelt die Fassade sowieso irgendwann. Wenn Du Dich mit klopfendem Herzen auf dem Weg zu Deinem nächsten ersten Date also fragst, wie Du am besten einen guten ersten Eindruck hinterlässt, dann denke an Folgendes: Sei ganz Du selbst. Höre deinem Gegenüber zu, stelle Rückfragen und zeige Dich interessiert. Alles andere ergibt sich von allein. Und nicht zu vergessen, falls es für Umarmungen noch zu früh ist: Ein fester Händedruck (aber nicht zu fest)! 😉
1 Willis, J. & Todorov, A. (2006). First impressions: Making up your mind after a 100-Ms exposure to a face. Psychological Science, 17(7), 592-598, https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.2006.01750.x
2 Todorov, A., Olivola, C. Y., Dotsch, R., Mende-Siedlecki, P. (2014). Social Attributions from Faces: Determinants, Consequences, Accuracy, and Functional Significance. Annual Review of Psychology, 66(1), 519-545, 10.1146/annurev-psych-113011-143831
3 Olivola, C.Y. & Todorov, A. (2010). Elected in 100 milliseconds: Appearance-based trait inferences and voting. Journal of nonverbal behavior, 34, 83-110, https://doi.org/10.1007/s10919-009-0082-1
4 Olivola, C. Y., Funk, F. & Todorov, A. (2014). Social attributions from faces bias human choices. Trends in cognitive sciences, 18(11), 566-570, https://doi.org/10.1016/j.tics.2014.09.007
5 Halo-Effekt. (2013, 4. Juli). Lexikon der Psychologie. https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/halo-effekt/6232
6 Sprouts Deutschland. (2022, 23. November). Der Halo Effekt – Superpower der schönen Menschen. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=aYS8UHr_TAI&t=66s&ab_channel=SproutsDeutschland
7 Der Spiegel. (2016, 15. Juni). a-d7d935ca-0001-0001-0000-000001097839. DER SPIEGEL, Hamburg, Germany. https://www.spiegel.de/panorama/leute/jeremy-meeks-verbrecher-wird-wie-ankuendigt-model-a-1097839.html
8 Woodward, M. (2017, 8. Mai). The Psychology of a First Impression. Psychology Today. https://www.psychologytoday.com/us/blog/spotting-opportunity/201705/the-psychology-first-impression
9 Hudson, C. C., Sabbagh, M. A. & Harkness, K. L. (2024). How Theory of Mind leads to Positive First Impressions. Journal of Experimental Psychology: General, 153(6), 1489-1499, https://doi.org/10.1037/xge0001573
10 Dorsch Lexikon der Psychologie. (o.D.). Theory of Mind. Abgerufen am 27.Mai 2025, von https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/theory-of-mind
11 Meinhardt-Injac, B., Daum, M. M. & Meinhardt, G. (2020). Theory of mind development from adolescence to adulthood: Testing the Two-Component model. British Journal of Development Psychology, 38(2), 1-15, 10.1111/bjdp.12320
12 Böckler-Raettig, A. (2023, 31. Januar). Theory of Mind. Socialnet. Abgerufen am 27. Mail 2025, von https://www.socialnet.de/lexikon/Theory-of-Mind#:~:text=6%20Trainierbarkeit%20von%20Theory%20of%20Mind,-Defizite%20in%20der&text=Inzwischen%20legen%20einige%20Studien%20die,noch%20nicht%20abschlie%C3%9Fend%20gekl%C3%A4rt%20ist.
