Die ganze Welt ist plötzlich öko. Die ganze? Nein! Ein unbeugsamer Großteil der Menschheit gibt nicht auf, dem ökologischen Handeln Widerstand zu leisten.
‚Bio‘ und ‚Vegan‘ sind tierisch en vogue. Und mal abgesehen von den erschreckenden ökologischen Fußabdrücken solcher Ausreißer wie importierter Bambus-Zahnbürsten, neuseeländischer Avocados und die Kilotonnen von Tofu aus südamerikanischen Ex-Regenwaldflächen, sind ‚Bio‘ und ‚Vegan‘ auch meistens Öko. Ich möchte in den folgenden Ausgaben der La.Uni mit dem Thema Öko aufräumen und einige Fragen beantworten, die mir immer wieder begegnet sind. Wenn ihr Fragen zu dem Thema habt, dann sendet sie mir bitte mit dem Betreff „alles öko-oder was?“ an phil@la-uni.org und ich will versuchen, sie euch weitestgehend zu beantworten.
„Was ist Öko? Wo kommt Öko her, und warum ist Öko so ein Thema?“
„Öko“, hergeleitet von der Ökologie (oikos griech. Haus, logos griech. Lehre), ist schlicht und ergreifend relevant geworden. Die Ökologie als Wissenschaft ist ein relativ junger Fachbereich und wurde, man streitet zwar wie immer, wer es erfunden hat, man meint aber, es wurde zuerst von Ernst Haeckel im 19. Jahrhundert also solche getauft. Als „Haushaltslehre“ im weitesten Sinne interessiert die Ökologie sich für alle Stoff- und Energieprozesse auf dem Planeten und noch allgemeiner für ungefähr alles, was so im Haushaltssystem des Planeten Erde vor sich geht. Ziemlich viel also. Das Spektrum der Ökologen umfasst daher Förster, Biologen, Chemiker, Soziologen, Physiker, Philosophen, Agrarwissenschaftler und viele weitere Spezialisten mit dem Ziel, das Leben besser zu verstehen. Die Anzahl der Ökologen und ihrer Publikationen ist seither gestiegen. Denn ‚damals‘ als Baumliebhaber und Schwarzseher verlacht, sind Ökologen heute immer gefragter. Die Gründe dafür sind die Preise, die die Welt für die rasante technische Entwicklung insbesondere seit der Moderne und Postmoderne zahlt.
„Welche Preise denn genau?“
Jedes Jahr gehen wegen der Nutzung von chemischen Allrounder-Keulen wie bspw. Glyphosat und der daraus folgenden großflächigen Beschädigung bis hin zur Zerstörung ganzer Ökosysteme, wegen extrem starker chemischer Düngung, wegen der Vertrocknung der Böden durch Verdichtung und Planmachung ganzer Landstriche, gigantische Landflächen verloren. Die ganze Zeit. Immer schneller. Seit Jahrzehnten. Tatsächlich munkelt man in der Wissenschaft noch vorsichtig über die verlorene Nutzlandfläche, und die Prognosen und Vorhersagen klaffen je nach Modell und Methodik weit auseinander. Mal sei es ein fünftel der genutzten Fläche, mal deutlich weniger, und mal haben wir über die letzten 50 Jahre weltweit über ein Drittel der landwirtschaftlich nutzbare Fläche verloren1. Prognosen winden sich um einen zukünftigen Verlust von etwa 10 Mio Hektar Land pro Jahr2. Etwas Land wird zeitgleich zwar begrenzt bewirtschaftbar gemacht, aber die Neuflächen sind auf Dauer fast vernachlässigbar. So verlieren wir nutzbare Flächen bisweilen 10-40 mal schneller, als neue Flächen geschaffen werden. Für wie lange die übernutzten Flächen unbrauchbar werden, ist pauschal nicht sicher zu bestimmen. Aber wenn wir uns vor Augen führen, dass sich dort – was in absehbarer Zeit nicht sehr wahrscheinlich ist – erst einmal Gräser, dann Büsche, dann Bäume ansiedeln müssen; dann (natürliche) Ereignisse die in Pflanzen gebundenen Kohlen- und Nährstoffe wieder freisetzen müssen, um das gleiche Schema vielfach zu wiederholen, bis der Boden mit ausreichend Kohlenstoff, Phosphor, Stickstoff, Bakterien, Mikroben, Klein- und Großtieren angereichert ist, die in ihrer Gesamtheit ein produktives Ökosystem darstellen… und dann eine eigene Bodenqualität entstehen soll… ein paar hundert Jahrtausende aufwärts, vielleicht.
„Warum werden so viele Chemikalien verwendet, wenn man doch weiß, wie schlecht das ist?“
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, insbesondere unter den hiesigen strengeren Auflagen, ist nicht grundsätzlich schlecht – er sichert bisher einen Großteil der Ernten und damit auch einen Großteil der Nahrungsmittel, da die Landwirte großflächige Monokulturen anbauen können, ohne sich auf „natürliche“, d.h. ökosystemeigene bzw. ansässige Nützlinge verlassen zu müssen, um Schädlinge loszuwerden. Es ist ein Kompromiss: Ein bisschen dem Boden schaden, um heute umso besser zu leben. So ertragreich wie möglich, so nachhaltig wie möglich. Wir alle genießen das. Problematischer dagegen sind jene Flächen, die weltweit ohne jegliche Kontrolle beansprucht und ‚ausgelutscht‘ werden. Hochenergetische Verfahren mit Mitteln von Monsanto, BASF und Co. werden angewandt, um kurzfristig riesige Erträge zu erzielen. Danach liegt alles tot und brach, bis das Ökosystem sich wie beschrieben ‚erholt‘ hat.
Die moderne Landwirtschaft hat uns also weltweit kurzfristig mit extrem niedrigen Lebensmittelpreisen beschenkt. Allerdings hat bekanntlich alles seinen Preis, und jede Einsparung muss irgendwo kompensiert werden. Im Falle der Lebensmittelproduktion bedeutet dies, dass wir Böden schützen und restaurieren müssen, um weiterhin Nahrungsmittel anbauen zu können. Im Falle von Billigkleidung bedeutet es, dass Erwachsene und Kinder zu inhumanen Bedingungen arbeiten müssen und sich Giftstoffe, die den schlechten Produkten in einer rein absatzorientierten Produktionskette aus Kostenspargründen zugeführt werden, in ihren und unseren Körper anreichern. Und in denen der Kinder. Yay. In den emotionaleren Diskussionen rund um ökologisches Handeln steht am Schluss oft das Argument der Kinder. „Wir fressen unseren eigenen Kindern den Arsch weg“, habe ich mal gehört. Das ist bildlich nicht sehr schön, aber teilweise zutreffend. Im Arsch- und Hüftbereich lagern wir Fettreserven an, die beim Hungern schwinden. Mein persönliches Problem mit dieser Aussage ist, dass sie die Lebensrealität eines großen Teils der Menschheit ausblendet. Denn schon heute leiden viele Millionen Menschen an Hunger und sterben daran, obwohl ihre Ökosysteme sie mit moderner Technologie ernähren könnten. Warum das nicht passiert, hat wohl mit Markt und so zu tun. Ganz furchtbar kompliziert sind die Antworten darauf, wenn man die führenden Lebensmittelproduzenten fragt. Außerdem guckt halt erstmal nach dem eigenen Sitzfleisch. Und man kann ja auch nur helfen, wenn es einem selbst gut geht, gell! Und wem geht es schon wirklich gut 😉 ?
„Und was tun die Menschen jetzt?“
Der populäre Ansatz heißt: Ökologische Landwirtschaft (ö.L.). Die heutigen Lösungen ökologischer Landwirtschaft sind sicher noch nicht perfekt. Die ö.L. ist momentan allerdings der einzige praktische Ansatz, alternative Anbauweisen zu erforschen und archaische wieder zu entdecken. Denn was wir heute Ökolandbau nennen, hat zu großen Teilen dieselben Grundlagen, wie der Landbau vor etwas über hundert Jahren: möglichst wenig Materialverschleiß und möglichst geringe Kosten, möglichst humane Bedingungen schaffen, möglichst hohe Qualität erreichen und dabei noch möglichst wenig Schäden anrichten. Ohne Reihenfolge, versteht sich.
Du hast Fragen zum Thema Ökologie, die du dir bislang einfach nicht beantworten konntest? Schreib mir doch eine Mail! Wir finden bestimmt eine Antwort! 🙂
Hier geht es weiter mit Teil II.
1Yang et al. 2003: Global potential soil erosion with reference to land use and climate changes
2Pimentel et al. 2006: Soil Erosion: a food and environmental threat
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