Es wird mit Dunkelheit gearbeitet

Bildrechte Alessandro Stephan

Eine Baustelle im sommerlich warmen Gießen 2018. Genauer: eine Baustelle vom 30. Mai bis zum 3. Juni 2018. Fünf Tage gerät etwas aus den Fugen und fügt sich wieder zusammen, aber es handelt sich um keine gewöhnliche Baustelle: Die Rede ist von der Theatermaschine, die jährlich stattfindende Werkschau der Studierenden des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft (ATW) der Justus-Liebig-Universität Gießen – in diesem Jahr gestaltet in den Farben Schwarz und Gelb, in Form von PVC, im Stil einer Baustelle. „Dieser (Nicht-)Ort entfaltet sich im andauernden Werden und Entstehen, wobei Neues, welches ständige Veränderungen erfährt, niemals als abgeschlossen betrachtet werden kann“ (theatermaschine-giessen.de).

Die Selbstbeschreibung, zu finden beim Internetauftritt des Festivals, verspricht nicht zu viel: Zu sehen (oder besser: zu erleben) ist eine beachtliche Anzahl an Installationen, Performances, Workshops, Vorträgen, Konzerten und Kritikgesprächen. All das organisiert von den Studierenden selbst; sei es das Anfragen und Abholen von Unmengen an schwarzem und gelbem PVC von einer Kunstausstellung, sei es das Planen des Ablaufs, Buchen der Räume, die Fahrdienste immer wieder quer durch die Stadt, sei es das Kochen, die Barschichten und schließlich das Performen selbst. Es ist mehr als erstaunlich, was hier auf die Beine gestellt wurde beziehungsweise auf die Beine gestellt wird, denn kaum etwas erscheint wirklich statisch.

Wo am Morgen des Vortags eine gut besuchte Party ihr Ende fand, können die interessierten Menschen nun eine „durational performance“, also eine Performance, die über einen langen Zeitraum von mehreren Stunden stattfindet, besuchen. „Ohhh baby baby“, so der Titel, lädt die Besucherinnen und Besucher dazu ein, sich zu schminken, einfach nur fernzusehen, die Performenden beziehungsweise Dinge in der Umgebung zu bewegen oder ähnliches zu tun. Der vormals schlicht als komplett gefliester, weißer Raum bekannte Aufführungsort hat sich in eine Art Wohnzimmer verwandelt. Das Wechselspiel von Zeit und Raum wird einem bewusst, fasziniert, banale Dinge geraten in den Fokus.

In „le beige n´est pas une couleur non aggressive“ wird die Farbe Beige in den Vordergrund gerückt. Sie steht hier sinnbildlich für das Alter und Älterwerden; eine Küche, bewusst klischeehaft eingerichtet als stamme sie aus einer Wohnung  älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger („Katzenzungen“-Schokolade, ein altmodisch wirkendes Sofa, penibel geordnete Kaffeelöffel sowie der durchlaufende Kaffee seien nur beispielhaft genannt; eine beeindruckende Liebe zum Detail! – mit dem Kritikpunkt, dass sich in den Keksdosen tatsächlich Kekse befanden und keine Nähutensilien), enthält zig Bilder von eben solchen Menschen (aber auch von jüngeren) an unterschiedlichsten Orten, jedoch stets in Kleidung, die sich durch den Farbton Beige auszeichnet. Äußerst interessant, denn wem fällt diese unauffällige Farbe im Alltag auf, wer beachtet sie? Man kommt dabei doch auf den Gedanken, ab und an auf ältere Mitmenschen zu achten, und wird sich bewusst, dass das Alter jede und jeden in der Regel einmal ereilt.

Apropos Gedanken: Bei der Performance „Gemeinsam mit dem Publikum einen James Benning Film schauen“ gab es viel Anlass zum Denken. Die Performance bestand genau aus dem, was der Titel versprach: Man sah gemeinsam den Film „Small roads“; das Thema war, man ahnt es schon, kleine Straßen. Mal bewegten sich nur Wolken oder Gräser, mal donnerten LKWs durch die Idylle, mal tauchte ein Wagen aus dem Nebel auf – Minimales wurde so bedrohlich, jedoch hatte man tatsächlich das Gefühl, dem Ganzen nicht einfach nur so ausgeliefert zu sein, schaute man sich den Film doch gemeinsam mit dem Performer Marc Adler an.

Eben jener hatte auch mit „I fear the stage“ eine Performance zum Schein vorbereitet: Gelockt mit einer Kurzbeschreibung und dem Thema des „white cube“, einer Probebühne, die im Gegensatz zur üblichen Bühne nicht schwarz, sondern gänzlich weiß gehalten ist. Voller Erwartung hatte das Publikum Platz genommen, um dann zu erfahren, dass es Gegenstand einer Wette des Publikums einer anderen Performance sei. „Ja, wie fühlt ihr euch jetzt damit?“ Anlass zur Wette war die Unpünktlichkeit der Studierenden der ATW, man bezweifelte, dass pünktlich zu Beginn überhaupt nur ein Mensch da sein würde. Wetten konnten dann aber auch die Besucherinnen und Besucher beider Performances – inklusive der Möglichkeit eines kleinen Gewinns.

Das kleine Bühnenstück „Ich auch“ brachte mithilfe von kurzen, grenzüberschreitenden Situationsbeschreibungen, geschossenen Tennisbällen, die die Schauspielerin in der Magengegend trafen als auch der entsprechenden Reaktion der selben, der Ausruf „Ich will das nicht!“, ein höchst aktuelles und wichtiges Thema auf die Liste der Veranstaltungen. Unschwer durch die einfache Übersetzung des englischen „me too“ ist die Verbindung mit dem Hashtag sowie der dahinterstehenden Bewegung und ihren Intentionen zu erkennen. Die Aufführung schlug somit in die selbe – und wohl für einige recht unbequeme – Kerbe.

Geschlagen wurde auch bei „billybookshelf“, und zwar mit dem Hammer auf die Stifte, die die Rückwand des gleichnamigen Möbelstücks eines bekannten schwedischen Unternehmens halten sollen. Es wurde vor dem Publikum das Regal aufgebaut, langsam, ruhig, gelassen, mit Fehlern und anschließenden Korrekturen. Erstaunlich wie unterhaltsam das Betrachten schaffender Menschen sein kann. Es gilt doch auch heute immer noch: Arbeiten ist schön, stundenlang könnte man zusehen. Die Krönung des Aufbauprozesses war das Anschrauben eines Apfels an das gänzlich weiße Regal. Fraglich bleibt, ob man eine Verbindung zu einem amerikanischen Elektronikunternehmen erkennen kann. Zwei Firmen als Beschreibung der aktuellen gesellschaftlichen Situation? Oder ist dies am Ende zu viel Interpretation in ein banales Projekt? Das bleibt allen selbst überlassen.

An Abwechslung jedenfalls mangelte es bei dem Festival folglich nicht, bei genannten Performances handelt es sich schlicht um ein paar kleinere Impressionen. Bestaunen konnte man des Weiteren eine Ausstellung mit fotografischen Selbstporträts, aufwendig produzierten, avantgardistischen Kurzfilmen, einer Bilderreihe, die Geld im globalen Stil thematisiert, ebenso eine „Situation mit Drehtür“, wobei der Fokus auf eine gläserne, manuell betriebene Drehtür fiel (und damit auch die Gedanken der besuchenden Menschen, die gelbe Post-Its mit Worten oder ähnlichem an die selbe kleben konnten), auch Konzerte (Ultrapassion oder Heidihole), eine sehr kreative Aufführung schlicht mit Smartphones und Sprachnachrichten und vieles mehr.

Nie jedoch konnte alles gesehen werden, anderer Ort und gleiche Zeit, gleicher Ort und andere Zeit oder einfach, weil nur zwei Personen gleichzeitig teilnehmen konnten. Einiges bleibt doch immer diffus, ist die Baustelle keine Baustelle mehr, wird sie zu etwas anderem – unter dem Putz kann vieles stecken, bleibt uns aber verborgen. Es wird mit Dunkelheit gearbeitet, der oder die Letzte schaltet das Licht aus, ob Baustelle oder Bühne ist Nebensache.

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