Die AfD ist in den Bundestag eingezogen und das mit 12,6% der Zweitstimmen und vier Direktmandaten. Ein Schock für Deutschland, das Stammland der Demokratie. Aber Abhilfe naht: Landauf landab werden Demonstrationen gegen die AfD organisiert und fleißig haben bereits 492.005 Menschen eine Petition, bzw. einen offenen Brief, gegen die AfD unterzeichnet (Stand 04.10.2017). Erleichterung pur, so macht antifaschistische Arbeit ja schon fast Spaß. Hätte es 1933 schon Petitionen gegeben, die Geschichtsbücher müssten umgeschrieben werden und endlich dürften wir Deutsche ohne heimliche Scham, enthemmt und vollbeflaggt die Fußball-WM abfeiern. Geilchen.
Um nicht meinen ganzen Zynismus für das restliche Jahr auf einmal aufzubrauchen muss ich an dieser Stelle einhalten und mich erklären. Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 war kein wirklicher Schock, es war erwartbar. Die Feindbilder und Schreckensszenarios, derer sich die AfD bei der Jagd auf Stimmen bediente, sind keine Erfindung der Partei selbst. Sie greift lediglich Ängste und Ressentiments aus der breiten Masse der Bevölkerung auf und kumuliert diese zu ihrem Wahlprogramm. Die größte Leistung der AfD besteht in diesem Sampling noch in der Art und Weise der Darbietung und Vermarktung von Problemen, um die Überwindung dieser Ängste mit ihren politischen Zielen im Gleichschritt aufmarschieren lassen. Es sind keine mutigen Verfechter*innen der „Das-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Meinungsfreiheit, die sich da lautstark und furchtlos vor den Karren der political correctness werfen. Eher manifestiert sich in der Partei ein diffuses Gefühl vieler Bürger*innen, die einer gesellschaftlichen Stagnation ausgesetzt sind.
Diese Stagnation spüren auch Menschen, die nicht mit der AfD sympathisieren. Die Wahlbeteiligung in Deutschland steht zwar mit 76,5% halbwegs solide, ist aber längst kein Traumwert. Eine Erklärung ist, sicherlich auch neben einigen anderen Faktoren, die Desillusionierung, die mit der Eindimensionalität unseres aktuellen politischen und gesellschaftlichen Systems einhergeht. An welchen Stellen bekommen die Fragen nach der Ausgestaltung unseres Zusammenlebens auf einer wirklich elementaren Basis Gewicht? Aktuell bestimmen diesen Diskurs die wirtschaftlichen Entwicklungen. Dash-Buttons von Online-Versandhäusern, selbstfahrende Elektroautos und VR-Brillen bis zum abwinken. Die Flut an neuen Produkten ist das taktgebende Element unserer Gesellschaft. Dabei lässt sich in einer derart konsumorientierten Welt nicht mehr trennen, wie sich der Wert einer Ware manifestiert. Von der Liebesbeziehung bis zu politischen Einstellung werden auch Elemente die nicht direkt dem Wirtschaftskreislauf entspringen wie Waren behandelt und nach einem Kosten-Nutzen-Schema eingeordnet und angewandt.
Dahinter steckt, das muss an dieser Stelle ja leider auch immer erwähnt werden, keine verschworene Elite von geldgierigen Bankiersfamilien oder sonstiger geheimer Zirkel. Es ist die Logik eines Gesellschaftssystems, das wir selbst formen und reproduzieren und dessen faktisch allgemeiner Geltungsanspruch unser Denken, Fühlen und ganz allgemein unsere Lebenspraxis bestimmt. Wir kommen da nicht raus und wir können es auch nicht wirklich aus unserer Lebensrealität ausgrenzen (und damit verhindern es zu reproduzieren).
Dieses Gesellschaftssystem wurde von Karl Marx als Kapitalismus erstmals beschrieben und theoretisch analysiert. Abgeschlossen ist und bleibt diese Analyse damit noch längst nicht und die bisherigen Versuche es anhand dieser Analyse zu überwinden mussten grundlegend schon daran scheitern, dass sie versuchten mit der, uns von Geburt an anerzogenen, kapitalistischen Logik eine wirtschaftliche und materielle Gleichstellung zu erreichen. Keine der praktischen Umsetzungen war, wenn überhaupt, wirklich lange dem ideologischen Ideal treu. Kurz: Der Kommunismus wird nicht deswegen keine Lösung der allgemeinen Situation herbeiführen können, weil er in der realen Umsetzung gescheitert ist, sondern vor allem, weil es nicht möglich ist, eine solche Utopie aus einer Gesellschaft der kapitalistischen Logik heraus zu realisieren.
Es kann und darf aber auch nicht die Lösung sein, an dieser Stelle zu resignieren und sich einer unüberwindbar erscheinenden Logik widerstandslos hinzugeben. Das spüren auch die Wähler*innen der AfD. Sie haben unterschiedlichste Gründe die Partei und deren Agenda zu unterstützen. Der Wille, die eben dargelegte, in der Regel nur diffus wahrgenommene, Stagnation zu durchbrechen deutet sich in der Regel durch Aussagen wie: mensch wolle „das System bekämpfen“, „wieder Politik für die Menschen auf der Straße“ oder ähnliches an. Durch den kalkulierten Bruch bisher ungeschrieben anerkannter sozialer und politischer Regeln schafft es die AfD dennoch sich für einen Teil der Bevölkerung als scheinbar außerhalb des Systems stehend darzustellen. Das dies nicht möglich ist, zeigt ja bereits das historische Beispiel kommunistischer Revolutionen und Regime, die sich wesentlich drastischer als die AfD von einem vorangegangenen gesellschaftlichen System abgrenzten und doch absolut scheiterten.
Eklatant tritt diese selbstüberschätzende Darstellung der AfD anhand der vielfachen Bezugnahme auf wirtschaftliche Ängste, bzw. Ängste vor dem sozialen Abstieg auf. Das Bild der sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Sozialschmarotzer“ (aka „Schrödingers Refugee“, der gleichzeitig Arbeitsplätze klaut und auf der faulen Haut liegend Sozialhilfe einstreicht) nutzen auch Teile der CDU und vor allem der CSU um Stimmung für ihre politischen Ziele zu machen. Die AfD drückt sich dabei allerdings am provokantesten aus und versucht sich konstant aus dem Wahrnehmungsradius des Labels „etablierte“ Partei heraus zu treten. Die plakativ vorangetragene „Alternative“ im Namen der Partei ist ebenso Verhöhnung der Wähler*innen, wie das „Sozial“ der SPD nach HartzIV oder das christliche „C“ im Namen der Unionsparteien.
Die AfD möchte gewählt werden und Einfluss auf die politische Gestaltung Deutschlands nehmen. Die Bundestagswahl wird der Partei dank finanzieller Mittel und Mitarbeiter*innenstellen auch einen strukturellen Schub geben. Und nicht zuletzt stoßen sich einige der Abgeordneten an den Diäten der Parlamente, in denen Sie sitzen, kräftig gesund. So beispielsweise Frauke Petry, deren effektheischender Abgang am Tag nach der Wahl mit höchster Wahrscheinlichkeit für die führenden Köpfen der Partei nicht im geringsten so überraschend war, wie sie sich hinterher aus der Kehle heucheln mussten. Gemeinsam mit Ihrem Mann und ohne lästige Fraktionsarbeit dürften sich die Einnahmen des gemeinsamen Haushaltes alleine durch die Aufwandsentschädigungen der Parlamente, in denen beide sitzen, auf gut und gerne 30.000 € im Monat belaufen. Chapeu.
Die in der Wahl zum Ausdruck gekommene Sympathie für die AfD ist das Symptom des gesellschaftlichen „Aus gegebenem Anlass: weiter wie bisher“, die Angst vor der Veränderung, die eintritt, sobald wir beginnen grundlegende Fundamente unserer Gesellschaft zu hinterfragen. Das damit keinesfalls über Nacht alles gut wird, muss an dieser Stelle kurz festgehalten werden. Doch es ist schon eine Veränderung, wenn Menschen ein Bewusstsein für Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses und Unbehagen gegenüber einem bislang unreflektierten Status Quo entwickeln. Nicht das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 sollte den Anlass dafür geben, dass wir als Gesellschaft beginnen uns kritisch zu hinterfragen. Vielmehr sind es unsere Gesellschaft und die Fragen, die wir permanent unterdrücken um in Ihr leben zu können ohne uns ständig für vollkommen bescheuert zu halten. Jede*r in dieser Gesellschaft logisch konstruierbare Gedanke, der die Herabsetzung anderer Menschen legitimiert und uns aus Angst vor Unsicherheit glauben lässt, dass das was „schon immer so war“ auch so bleiben muss ist ein Symptom der Fehler des ihn erzeugenden Systems.
Neben Petitionen und Demonstrationen, welche lediglich auf die Bekämpfung eines Symptomes abzielen (und selbst dabei, so fürchte ich, maximal leidlich effektiv sind) ist eine wesentlich größere Anstrengung von Nöten. Parteien sind keine starren und nur aus sich heraus wirkenden Gebilde. In einer Demokratie kommt Veränderung hauptsächlich nicht durch die Stimmabgabe direkt, sondern durch das Wissen der Parteien um die Stimmabgabe und das Ziel diese zu gewinnen. Der Anti-Atomkraft-Schwenk der CDU nach Fukushima, als der Partei klar wurde, dass ein breites gesellschaftliches Umdenken absehbar war, die Fokussierung der AfD von der Euro/D-Mark-Thematik auf die Flüchtlingskrise, nachdem immer mehr „Wutbürger*innen“ mit Pegida etc. auf die Straße gingen. Wir müssen beginnen den gesellschaftlichen Diskurs zu verändern, anstatt uns jetzt die nächsten vier Jahre gemütlich an die AfD zu gewöhnen und deren Slogans und einfache Erklärungsmuster zu einem regulären Bestandteil unseres Zusammenlebens werden zu lassen. Und nein, das erfordert wesentlich mehr Aufwand als eine Petition zu unterschreiben. Nicht einmal ein schön vorgeschriebener Text steht am Anfang.
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