Die wunderschöne Region Ketama im Norden Marokkos ist das größte Produktionsgebiet für Haschisch weltweit. Durch Zufall und Glück haben wir die Möglichkeit erhalten in einem der Agrarbetriebe vor Ort an Anbau, Ernte und Produktion des Rauschmittels, welche hier in Ketama per Erlass des ehemaligen marokkanischen Königs legal ist, teilzuhaben. Dies (und der Austausch mit den beteiligten Personen) erlaubt mir einen detaillierten Bericht über die Praxis, mit der die Bäuerinnen und Bauern am Rif-Gebirge ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Das Jahr beginnt mit dem Ausbringen der Samen im Januar. Größtenteils werden importierte Samen aus dem Ausland (vorrangig Niederlande und Pakistan) angepflanzt, da diese feminisiert und nach bestimmten Sorten gezüchtet sind. Auch die Samen, welche die Pflanzen aus dem Vorjahr abgeworfen haben, werden dazwischen gesät, was allerdings häufiger zu männlichen Pflanzen führt, die keinerlei berauschende Wirkung haben. Die beiden gängigsten Sorten sind Hardela und Critical, viel experimentiert wird vor allem von den alteingesessenen Betrieben nicht. Jüngere Bäuerinnen und Bauern wagen sich aber in letzter Zeit immer wieder an neuere Sorten heran, stets mit der Gefahr konfrontiert, dass eine neue Sorte sich nicht mit den örtlichen Gegebenheiten verträgt, eingeht und damit die Ernte vernichtet. Die existenzielle Bedrohung, die damit einhergeht, bedingt nicht selten Suizide bei den Betroffenen.
Die Arbeit auf den Feldern, soviel vorneweg, ist Aufgabe der Frauen. Ebenso die Arbeit im Haus und bei der Kindererziehung. Die Männer der Familien hingegen fühlen sich allein für den Verkauf des produzierten Haschisch verantwortlich, in vielen Fällen ohne den kleinsten Schimmer von der Feldarbeit zu haben. Aus Langeweile verfallen hier nicht wenige Männer dem Alkohol und zeigen deutliche Anzeichen des damit einhergehenden geistigen und körperlichen Verfalls.
Nachdem die Frauen im Januar die Felder bestellt und die Pflanzen ausgesät haben, werden die Felder bis zum April von Unkraut befreit und die Schläuche für die Wasserversorgung repariert. Diese ziehen sich teilweise kilometerlang über die Bergflanken und kreuzen, in wirren Bündeln, auch hin und wieder die Routen, auf denen mensch zu den Feldern gelangt. Das Wasser, das ab April benötigt wird um den steigenden Wasserverbrauch der Pflanzen zu bedienen, stammt aus jeder erdenklichen Wasserquelle. Sowohl Flüsse, als auch Quellen oder selbstgebohrte Brunnen liefern Liter um Liter.
Ab Mai ist es in den Bergen Ketamas zudem zu heiß, um Mittags zu arbeiten. Die Lösung: Ab Morgens 5 Uhr geht es an die Arbeit, bis sich ab 10 Uhr die Hitze bemerkbar macht. Ab 16 Uhr Nachmittags wird dann bis zum Aufziehen der Dämmerung (gegen 21 Uhr) weitergearbeitet. In der „Mittagspause“ und nach „Feierabend“ müssen die Frauen die anfallenden Hausarbeiten erledigen und ruhen sich kurz aus. Kaum eine der Frauen schläft in den arbeitsintensiven Phasen länger als 4 Stunden pro Nacht. Und so richtig arbeitsintensiv wird es ab Anfang September, denn der gesamte Monat steht im Zeichen der Ernte.
Da der Verlust eines Feldes, sei es durch Diebstahl oder Unwetter, zum finanziellen Engpass für eine ganze Familie werden kann, erfolgt die Ernte der Pflanzen etwas bevor diese komplett reif sind. Zudem wurde uns versichert, dass der Diebstahl von reifen Pflanzen für viele der Täter*innen in schneller und unbarmherziger Lynchjustiz mit dem Gewehr endete.
Die Frauen von Ketama tragen auf Grund der Beschaffenheit der Pflanzen eine „Arbeitsuniform“ aus dicken Gewändern mit langen Ärmeln, mit denen sie in der Hitze von um die 30 Grad Celsius arbeiten. Wie diese Arbeit aussieht, hängt von der jeweils geernteten Grassorte ab. Hardela wächst zu 50 – 70 cm hohen Pflanzen heran, die mitsamt Wurzel aus dem Boden gerissen werden. Critical hingegen bildet eine 2 – 3 Meter hohe Pflanze von der ab 1,50 Meter Höhe die Blüten abgehen. Daher wird Critical mit einer kleinen, reißzähnigen Handsichel geerntet. In beiden Fällen werden die geernteten Pflanzen zu Bündeln von ca. 8 cm Durchmesser an den Stängeln zusammengelegt und dann mit einem der Stängel verknotet. Im Anschluss wird noch einmal mit der Sichel das Ende des Bündels gekappt, sodass das Bündel jeweils nur den Teil der Stängel enthält, an dem sich auch Blüten befinden.
Ist das Feld abgeerntet, so werden die Bündel auf ein Seil gelegt, aufeinander gestapelt und mit dem Seil direkt auf den Rücken der Trägerin gebunden. Zu Beginn wurden uns nur die „Touristen-Portionen“ zugetraut, was ca. 15 Kilo Pflanzen entsprach. Bei einer der Ernten beharre ich darauf das Bündel zu schleppen, welches eine der Arbeiterinnen sich bereits fertig gerichtet hat. Unter großem Protest erlange ich das Recht, die Ernte nach Hause zu tragen und schaffe den steilen, bergigen und kurvigen Weg nur unter allergrößter Mühe. Mein Bündel wiegt geschätzte 35 -40 Kilo, was ungefähr der Hälfte dessen entspricht, was die 95-jährige Urgroßmutter der Tochter des Hauses schleppen kann. Mit 80 Kilo auf dem Rücken wäre ich auf den ersten hundert Metern mindestens kollabiert und die gute Dame (die auch sehr gerne exzessiv tanzt) schleppt das Gewicht seit sie 15 Jahre alt ist.
Die geernteten Bündel werden die ersten drei Tage an der Sonne getrocknet und anschließend bis zum Dezember auf einander gestapelt im Lager. Auf den Feldern werden nun, einerseits zur Erholung des Bodens, andererseits zur Sicherung der Ernährung, Kartoffeln angepflanzt und bewässert, später geerntet ( Wie viele Kartoffelsäcke die Urgroßmutter schleppen kann erfahre ich nicht, ich schätze aber, dass ich mich von der Menge ganz passabel drei Wochen durchgängig ernähren könnte…). Das geerntete Marihuana spielt erst im Dezember, nach dem vollständigen Trocknen, wieder eine Rolle. In der Zwischenzeit werden vor allem die Wasserschläuche geflickt und die Werkzeuge repariert.
Zur Herstellung des Haschisch im Dezember wird dann eine große Schüssel mit Nylon-Stoff überspannt (die Schüssel ist ungefähr 40 cm tief und der Durchmesser beträgt ca. 1 m). Darauf werden die getrockneten Pflanzen gegeben und das Ganze mit einer dickeren Plastikfolie umspannt, die unten sehr fest gebunden wird. In der Folge wird mit zwei großen Stöcken (Die komplett von Ästen o.ä. befreit sind) durchgeklopft. Die Länge des Klopfen bestimmt dabei die Qualität des Haschisch. Werden fast nur die harzhaltigen Blüten durch den Stoff geprügelt, handelt es sich um die 1st quality, je mehr Anteile der restlichen Pflanze dazukommen, desto geringer die Qualität. Der grüne Staub auf dem Boden der Schüssel (Kief) wird eingesammelt und dann mit Hitze und Druck zum Endprodukt, dem Haschisch verpresst.
Da der Anbau zwar legal ist, der Besitz und Verkauf aber nicht geduldet wird, bezahlen Polizeibeamte hohe Summen (bis zu 20.000 € umgerechnet) um in der Provinz Ketama stationiert zu werden. In der Regel rentiert sich diese „Investition“ allerdings bereits im ersten Jahr, da die Bauern hohe Summen Bestechungsgelder zahlen, um ihre Erzeugnisse außer Landes zu schaffen. Von diesem Ertrag müssen die Familien dann ein ganzes Jahr leben.
Ab Januar geht dann das beschwerliche Leben der Frauen von Ketama wieder seinen gewohnten Gang. In einer wunderschönen Landschaft, aber ohne eine ernsthafte Mitsprache für die eigentlichen Ernährerinnen der Familie.
Kommentar hinterlassen