Wie ich Abenteuer verlor und Produktivität gewann

Tag 39 der Isolation. Tag 39 eines anderen Lebens. Als alles anders wurde, nachdem alles anders war.

38 Tage lang bin ich jetzt dabei zu verstehen, zu vermissen, mich anzupassen. Zu verdauen, dass mein Leben, so wie es war, gerade auf Pause gedrückt ist. Ich habe davon 11 Tage lang versucht digitale Freundschaften zu führen, irgendwann verstanden, dass Freunde Menschen und keine Avatare sind und dann aufgegeben. 12 Tage lang habe ich versucht meine Position in dem ganzen Meinungs- und Informationsspektrum einer Krise auszumachen und souverän vertreten zu können. 15 Tage lang habe ich neue Hobbies gelernt, Netflix geerntet, Bücher verschlungen, Pamela Reif eine Chance gegeben und viel zu viele Zigaretten geraucht. Und dann kam Tag 39. Und es wurde leichter- weil ich akzeptiert habe.

Ich habe angefangen zu genießen.

Ich bin so nicht. Ich kann so nicht. Dachte ich. Ich brauche Unternehmungen, Feiern, Alkohol, Menschen, Menschen, Menschen. Ich brauche schnellen, lauten Spaß. Ich will neu, viel und das immer. Ich liebe meine Freunde, ich liebe es, neue Freunde zu finden, ich liebe es noch viel mehr mit all diesen zusammen in Campingstühlen in reudigen Festivalcamps zu vergessen, wie viel lauwarme Dosenbier ich schon getrunken habe. Ich liebe das Leben „draußen“. Das ist meine Freude, das ist alles, was ich brauche. Aber jetzt, wo das alles weggefallen ist, hatte ich genau zwei Möglichkeiten: Ich falle mit oder ich erfinde mich neu.

Durch diese Pflichtkur habe ich erkannt, dass „das Leben mehr ist als das“. Sonst wird diese Floskel immer im genau umgekehrten Wortsinn genutzt. Leben ist mehr als Arbeit. Leben ist mehr als Uni. Aber ich Sozialjunkie erlebe es jetzt andersherum. Work-Life-Balance bedeutet auch einen gesunden, bereichernden Bezug zu „work“ zu haben- das kann ein überschwänglicher „life“ Anteil nicht ausgleichen. Ich habe 39 Tage gebraucht, um das zu verinnerlichen. “Work“ kann auch den äußerst befriedigenden Parameter der Persönlichkeitsarbeit einschließen.

Ich habe darüber geschmollt und viel gegrübelt. Und dann kam Tag 39 und hat es mir einfach gezeigt. Es ist wahnsinnig gut selbsterarbeitete Erfolgsgefühle zu verspüren. Ist wohl eigentlich common sense, für mich aber eine Renaissance meiner eigenen Stärke. Erst jetzt habe ich erkannt, wie viel Energie ich habe. Und wie viel mir Menschen davon ziehen. Ich habe mich schamfrei gefragt, ob ich es mir selbst nicht eher wert bin, an der Abenteuerfront einzubüßen, um eigene Ziele und Erfolge zu erringen. Und seit Tag 39 macht es mir Spaß morgens Sport zu machen, intensive Unisessions zu machen, mich zu bilden, Mehrwert zu generieren. Ich spüre das mein Kopf brummt, ich bin inspiriert. Aber Achtung- das klingt nach einem x-beliebigen influencer Traum. Auch dieser Lifestyle birgt viele Tiefs. Lange Tiefs. Aber ich gehe anders damit um. Ich kann mich nicht mit Freunden treffen und die Welt um mich herum vergessen. Aber ich kann Stricken lernen, Podcasts hören- mich selbst spüren. und ich wachse an mir und meinen Aufgaben. Noch so eine Floskel. Aber in einer Zeit, in der man verstummt, weil Worte überall, aber Nähe nirgendwo ist, vielleicht ganz tröstend.

Wer weiß, was Tag 54, 67 oder gar 93 bringen wird, wer weiß, wie es in einem neuen Leben nach dieser pandemischen Transitphase aussehen wird. Aber diese Stärke nehme ich mit. Diese Stärke möchte ich an euch weitergeben. Es bringt Ruhe, wenn man ausgelastet ist. Es bringt Befriedigung, wenn man erfolgreich und erschöpft ins Bett fällt und einen weiteren Tag geschafft hat. Es gibt Struktur Produktivität und Luxus zu trennen. Und ich habe es viel zu lange für selbstverständlich gehalten und nicht genug gewertschätzt- Freunde, Abenteuer, Reisen, Events- das ist Luxus. Der noch viel mehr Spaß macht, wenn man ihn sich gönnt und erst richtig fantastisch wird, je länger man auf ihn warten muss.

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