„Das Internet ist für uns alle Neuland…“

Dieser Satz, der zu den bekanntesten Zitaten unserer Bundeskanzlerin gehören mag, feiert im Juni bereits seinen achten Geburtstag und es ist wenig verwunderlich, dass er nicht nur seinen Weg in die Presse, sondern auch auf T-Shirts und Pullis gefunden hat. Gerade für „jüngere“ Bürger*innen mag die Bezeichnung „Neuland“ gut 24 Jahre nach der Erfindung des Internets etwas befremdlich, um nicht zu sagen lächerlich geklungen haben. „Wir schreiben das Jahr 2013 in dem wir das Internet als #Neuland beschreiten und wir alle sind Live dabei“ – die Kommentare auf Twitter häuften sich.

Lassen wir jetzt einmal außer Acht, dass es Merkel während jener Pressekonferenz nicht etwa um Digitalisierung an sich, sondern um die Abwägung von Sicherheit und Überwachung ging („…es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung, mit völlig neuen Möglichkeiten … unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen.“) und betrachten wir stattdessen, inwiefern Kanzlerin Merkel und die restliche Politikwelt bis zum heutigen Tag mit dem Internet warm geworden sind…

Gerade während der ersten Corona-Welle hat man sich in Deutschland vielerorts an den „DigitalPakt Schule“, beschlossen am 15. März 2019, zurückerinnert. Wer heute den Begriff „DigitalPakt“ hört und wie ich mit einigen Lehrkräften bekannt ist (oder die üblichen Satire-Sendungen verfolgt), der verdreht jetzt schon die Augen. Auf der Seite des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) selbst können wir nachlesen, warum das fünf Milliarden schwere Hilfspaket kein Erfolgsmodell ist: Schlagwörter wie „Breitbandanschluss“, „IT-Infrastruktur“ und „Lehrerbildung“ rufen bei mir Erinnerungen an verstaubte Computerräume und Beamer mit Verbindungsproblemen hervor.

Tatsächlich scheint der Pakt vorwiegend an zwei Dingen zu scheitern: Bürokratie und Föderalismus. Aus Zeitgründen habe ich mich nur in die Rheinland-Pfälzischen Richtlinien eingelesen und na ja… Neben der genauen Definition der zu fördernden Maßnahmen (IT-Support ist zum Beispiel nicht dabei), müssen die Schulen eine Reihe von Vorgaben zur Beantragung der Gelder beachten. Gefordert werden eine Bestandsaufnahme des Ausstattungsniveaus, ein mehrteiliges Medienkonzept, ein Kosten- und Finanzierungsplan, ein Konzept für die Sicherstellung von Betrieb, Wartung und IT-Support, Angaben zu Beginn und Ende der Maßnahme, und, und, und.

Während die Schulleitungen also seit zwei Jahren vor einem riesigen Stapel Papierkram hocken, läuft ihnen auch schon die Zeit davon, denn: „Für Bewilligungen aus dem Schulträgerbudget … sollen Anträge bis zum 16. Mai 2022 vollständig bei der benannten Stelle eingereicht werden. Nach der Verwaltungsvereinbarung DigitalPakt Schule 2019 bis 2024 soll bis zum 16. November 2021 mindestens die Hälfte des Volumens der Finanzhilfen durch Bewilligungen gebunden sein.“ In anderen Worten heißt das: Wer es nicht innerhalb des nächsten Jahres schafft, seine Anträge einzureichen, wird auch kein Geld sehen. Darüber hinaus sollte die Hälfte des gesamten Hilfspakets schon im November klar zugeteilt sein, andernfalls wird neu entschieden, was mit dieser riesigen Summe passieren soll. Das könnte, gerade in Zeiten von Corona, ein wenig knapp werden…

Doch obwohl die Digitalisierung hierzulande auch im Angesicht einer globalen Pandemie mit Homeoffice und Homeschooling unglaublich schleppend vorankommt, gibt es den einen oder anderen Fortschritt zu verzeichnen. So hat Schleswig-Holstein zum Beispiel einen Weg gefunden, seine Impftermine ziemlich effektiv unter die Leute zu bringen und dabei auch noch einen Corona-geschädigten Konzern zu unterstützen: Die Terminvergabe startete ganz einfach und effektiv über den Ticket-Riesen Eventim.

Vorhandene Ressourcen zu nutzen, ist ja immerhin ein Anfang. Was Deutschland darüber hinaus gebrauchen könnte, wären flächendeckende Breitbandanschlüsse, aber wem sage ich das? Tatsächlich wird für den Ausbau ziemlich viel Geld in die Hand genommen, so dass die Zielsetzung „superschnelles Internet mit mindestens 1 Gigabit/s in ganz Deutschland bis 2025“ (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) fast schon erreichbar scheint. Über 75% der deutschen Haushalte besitzen laut „Bereitbandatlas“ einen Internet-Anschluss mit 50 Mbit/s oder mehr, bei Glasfaser-Direktanschlüssen sind es 7%. Nur gehören die Anschlüsse leider privaten Unternehmen (Vorreiter sind Telekom und Vodafone) und der Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur heißt nach wie vor Andreas Scheuer… Schon aus diesen Gründen ist es mehr als fraglich, ob der dringend benötigte Ausbau im Rahmen des aktuellen Zeit- und Kostenplans umgesetzt wird.

Was wird also passieren, bevor Deutschland seinen Platz als Nachhilfeschüler für Digitalisierung endlich abtreten kann? Wird die Planung echten Profis überlassen? Die Frist für den „DigitalPakt“ verlängert? Die Infrastruktur mit Staatsmitteln aufgekauft? Gründet sich am Ende ein eigenes Ministerium für Digitalisierung, mit Dorothee Bär an der Spitze? Oder werden wir einfach mit Engelsgeduld auf die Umsetzung der Maßnahmen warten und die zusätzliche Kaffeepause genießen, wenn das Onlinemeeting mal wieder abbricht? Lassen wir uns überraschen…

Quellen:

https://www.tagesspiegel.de/politik/die-kanzlerin-und-das-internet-merkels-neuland-wird-zur-lachnummer-im-netz/8375974.html

https://www.digitalpaktschule.de/

https://www.digitalpaktschule.de/de/foerder-service-1713.php?BL=11

https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Corona-In-SH-vergibt-Eventim-Impftermine,impfen286.html

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/949908/umfrage/marktanteile-der-fuehrenden-breitbandanbieter-in-deutschland/https://www.bmvi.de/DE/Themen/Digitales/Breitbandausbau/Breitband-kompakt/breitband-kompakt.html

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