Der zweite Teil einer Beitragsreihe zu Corona & den Folgen.
Lange lag der Fokus bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auf dem Schutz von Älteren und vorerkrankten Menschen. Dort gab und gibt es vor allem schwere Verläufe und Todesfälle. Doch nach und nach rücken auch die Langzeitfolgen von COVID-19 in den Mittelpunkt: darunter der Verlust des Geruchssinns, chronische Schmerzen, Nieren- sowie Herzensprobleme und auch eine geringe Belastbarkeit und erhöhte Erschöpfung. Manchmal ist der Grund eine Herzmuskelentzündung, die auch nach einer Erkältung oder Grippe auftreten kann. Diese tritt vor allem auf, wenn man sich nach einer Erkrankung nicht genug ausruht und zum Beispiel zu schnell wieder mit Sport oder der Arbeit anfängt.
Starke Erschöpfung kann sich jedoch auch auf eine Art und Weise äußern, die an eine andere Krankheit erinnert: das chronische Erschöpfungssyndrom (chronic fatigue syndrome – im weiteren Text mit „CFS“ abgekürzt) auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt. Die von der WHO als neurologische eingestufte Krankheit ist leider noch eher unbekannt und betrifft weltweit ungefähr 17 Millionen Menschen, darunter ca. 250.000 in Deutschland (40.000 Fälle davon fallen auf Kinder und Jugendliche). Ungefähr 60% der Betroffenen sind arbeitsunfähig. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Oft nach einem nicht komplett ausgeheilten Infekt auftauchend, zum Beispiel nach einer Grippe oder dem Pfeiffersche-Drüsenfieber, tritt CFS vor allem mit einer starken Erschöpfung ein, zum Teil schon bei kleinster Belastung: die Betroffenen fühlen sich schwach, haben in einigen Fällen Schmerzen und ihr Allgemeinbefinden verschlechtert sich. Außerdem kommt es zu Schlafproblemen, sensorischen Reizüberflutungen und Beeinträchtigungen in kognitiven Bereichen.
Post-Exertional Malaise
Die Symptome von CFS verstärken sich oft nach körperlicher oder geistiger Belastung und führen zur Erschöpfung, dies nennt man die Post-Exertional Malaise. Dies können Spaziergänge und Einkäufe sein oder in schweren Fällen schon kleinste Bewegungen, die durchgeführt werden müssen.
Wie stark die Erschöpfung ist, kann sich unterscheiden: manche Betroffene müssen sich nach anstrengenden Tätigkeit zum Teil tagelang ausruhen, andere werden zu einem Pflegefall für ihre Familien.
Autonome Symptome
Neben der starken Erschöpfung können auch viele andere Symptome auftreten. Die sogenannte orthostatische Intoleranz führt dazu, dass man den Körper beim Sitzen oder Stehen nicht lange aufrecht halten kann. Ansonsten kommt es zu Herzrasen, einem niedrigen Blutdruck und einem erhöhten Puls. Dies beeinträchtigt die Lebensqualität natürlich enorm, da betroffene CFS-Erkrankte ihre Zeit so weitgehend im Liegen verbringen müssen.
Immunologische Symptome
Die Körpertemperaturen können erhöht sein und die Lymphknoten anschwellen. Manchmal kommt es auch zu Unverträglichkeiten gegenüber Medikamenten sowie Nahrungsmitteln und zu Magen-Darm-Problemen. Einige Patienten haben Probleme mit neu auftretenden Allergien, Unverträglichkeiten und Infekten.
Neurokognitive Symptome
Patienten mit CFS haben oft Probleme mit ihrer Merk- und Konzentrationsfähigkeit sowie Probleme beim Finden von Wörtern, auch „brainfog“ genannt.
Migräneähnliche Symptome erschweren die Konzentration zusätzlich.
Diagnose
Häufig wird CFS nicht diagnostiziert. Da „Fatigue“ oft bei Krankheiten auftritt, müssen Ursachen wie Zeckenbisse, Multiple Sklerose etc. in Betracht gezogen werden. Bei einer langsamen Steigerung der Symptome sollten auch Depressionen ausgeschlossen werden. Durch die vielfältigen Symptome wird eine Diagnose erschwert und es dauert oft lange, bis Erkrankte wissen was mit ihnen los ist.
Oft treten CFS-Erkrankungen zusammen mit einer chronischen Schilddrüsen-Erkrankung (Hashimoto-Threoiditis) auf.
Zur Diagnose werden unter anderem die „Kanadischen Konsenskriterien“ verwendet – die Symptome müssen mindestens 6 Monate anhalten. Abgefragt werden:
→ Erschöpfung und Zustandsverschlechterung nach Belastung
→ Schlafstörungen
→ Schmerzen
→ Neurologische/kognitive Manifestation
→ Autonome Manifestation
→ Neuroendokrine Manifestation
→ Immunologische Manifestation
Es gibt auch die Internationalen Konsenskriterien (ICC) bei denen eine Diagnose schon vor 6 Monaten möglich ist, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.
Was hilft bei CFS?
Verschiedene Maßnahmen können einen positiven Einfluss auf die Erkrankung haben, dazu gehören:
→ ein geregelter Tagesablauf
→ „Pacing“: Betroffene müssen dringend darauf achten, sich nicht zu überlasten und ihre eigenen Grenzen zu (er-)kennen
→ das Führen eines Tagebuches, um einen Überblick über Aktivitäten und den eigenen Zustand zu behalten
→ die Gabe von Schmerz- und Schlafmitteln
→ Medikamente, die bei Konzentrationsproblemen helfen
→ Medikamente gegen Magen-Darm-Probleme (z.B. Flohsamenschalen)
→ Eisen, Vitamin D, Selen, Zink und Phosphate (bei einem Mangel)
Vitamin D ist bei Patienten, die zu wenig Sonnenlicht ausgesetzt sind besonders wichtig
→ die Gabe von weiteren Medikamenten wie Ativan (bei sensorischen Reizüberflutungen)
Wichtig ist zu verstehen, dass diese Medikamente und Maßnahmen nur die Symptome und Auswirkungen von CFS bekämpfen. Ein Medikament, das man gezielt gegen CFS nehmen kann, gibt es bisher nicht wirklich.
Auch Infektionen oder Depressionen, die in Folge einer Erkrankung auftreten können, sollten im Blick behalten werden.
Weiterhin untersucht werden:
→ verschiedenste Medikamenten
→ die Wirkung von therapeutischen Ansätzen
→ „Graded Exercise Therapy“ (GET): Ein an die Stärke der Beschwerden angepasstes Bewegungsprogramm mit sich langsam steigernden Aktivitäten (hier muss jedoch aufgepasst werden, dass die Patienten sich nicht übernehmen und dies zu einer Verschlechterung des Zustandes führt)
Die teilweise an CFS erinnernden Langzeitfolgen von COVID-19 haben zu einem gesteigerten Interesse an der Forschung gesorgt.
„Total body shutdown.“ (Whitney Dafoe)
Ein bekannter Fall vom chronischen Erschöpfungssyndrom ist der von Whitney Dafoe, Sohn von Dr. Ronald Davis und Dr. Janes Dafoe. Dr. Ronald Davis ist ein wichtiger und renommierter Wissenschaftler sowie Professor mit Fokus auf Biochemie und Genetik. Er ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften („National Academy of Sciences“). Bekannt ist er unter anderem für seinen Beitrag zur Forschung zum „Human Genome Project“
Als sein Sohn – ein leidenschaftlicher Fotograf – erkrankte, legte er all seinen Fokus in die Forschung zum chronischen Erschöpfungssyndrom. Whitney reiste vor seiner CFS-Erkrankung viel um die Welt. 2007 können indische Ärzte ihm bei einer Infektion nicht weiterhelfen und er kehrt nach Kalifornien zurück. Doch auch dort verschlechtert sich sein Gesundheitszustand, bis er zuerst ein Jahr von seiner jüngeren Schwester gepflegt wird und 2011 wieder bei seinen Eltern einzieht.
Whitney Dafoe ist so krank, dass er künstlich ernährt und gepflegt werden muss und seit 2014 kein Wort mehr gesprochen hat. Die Kommunikation findet über Gesten oder Schrift statt. Weitere Infektionen könnten ihn das Leben kosten. Ronald Davis und Janes Dafoe wechseln sich mit Schichten ab. Manchmal übernimmt eine Krankenschwester die Pflege. Kontakt zu anderen Menschen überfordert Whitney meistens und er verbringt den Großteil der Zeit in seinem Bett. Seine Eltern realisieren nach einer Odyssee von Arzt zu Arzt, wie gering eine Hoffnung auf Heilung ist. Also beschließt Ronald Davis sich selbst dem Thema zu widmen.
2013 gründete er das ME/CFS Collaborative Research Center (früher Stanford Chronic Fatigue Syndrome Research Center) um mit Forschern aus unterschiedlichen Disziplinen weiter an CFS zu forschen und die Krankheit ins Bewusstsein der Bevölkerung, von Ärzten und auch der Regierung zu bringen.
Erste Fortschritte konnten die Wissenschaftler schon machen: Im Team zeigen sich die Vorteile des interdisziplinären Arbeitens, so konnten unter anderem neurologische und immunologische Veränderungen bei CFS-Betroffenen gefunden werden und auch das Blut und der Energiestoffwechsel von Erkrankten weist Auffälligkeiten auf. 2019 konnten Davis und sein Team einen Bluttest vorstellen, der sehr wahrscheinlich ME/CFS-Betroffene erkennen kann.
Auch sein Sohn hat Hoffnung und glaubt, dass die momentane Forschung zu Long-Covid Betroffenen helfen kann. Dies könnte ihm und auch seinen Eltern endlich wieder ein normales Leben ermöglichen. In letzter Zeit hat sich Whitney Dafoes´s Zustand glücklicherweise etwas verbessert und er kann unter anderem mehr auf seinem Blog (Link unten) posten. Während sein Körper noch sehr geschwächt ist, geht es ihm kognitiv dank Medikamenten besser.
Wenn ihr mehr zum Thema wissen wollt, findet ihr unten ein paar interessante Internet-Adressen und meine Quellen:
Hier ein Artikel über Ronald Davis und seinen Sohn, der mich persönlich sehr berührt hat:
https://www.aljazeera.com/amp/features/2021/1/2/a-geneticists-biggest-challenge-curing-his-own-son (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
Auf Twitter klären Betroffene unter dem Hashtag #MEawarenesshour über ihre Erkrankung auf.
→ Whitney Dafoe´s Twitter Account: @DafoeWhitney
→ Whitney Dafoe´s Blog: https://www.whitneydafoe.com/mecfs/
Buch über Whitney Dafoe´s Erkrankung bei dem Ronald Davis mitgeschrieben hat.
„The Puzzle Solver“ von Tracie White.
Eine ARTE-Doku zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=YYlsgzmjPtU
Zwei Funk-Dokumentationen, die sich mit CFS beschäftigen:
https://www.youtube.com/watch?v=pPamnUoIbD0 (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.youtube.com/watch?v=BY5G96i-fPg (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
Der Film „Unrest“ von Betroffenen
https://www.youtube.com/watch?v=JvK5s9BNLzA (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
Quellen:
https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/herz/oft-unerkannte-anzeichen-doch-gefaehrliche-folgen-herzmuskelentzuendung-nach-erkaeltung-oder-grippe-ernst-nehmen_id_7922947.html (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.aljazeera.com/amp/features/2021/1/2/a-geneticists-biggest-challenge-curing-his-own-son?__twitter_impression=true&s=09 (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/#:~:text=Die%20Myalgische%20Enzephalomyelitis%2Fdas%20Chronische,Menschen%20betroffen. (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.me-information.de/symptome/orthostatische-intoleranz/ (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://immunologie.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc12/immunologie/Immundefekt-Ambulanz/Chronisches_Fatigue-Syndrom.pdf (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://cfc.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/kompetenzzentren/cfc/Landing_Page/Kanadische_Kriterien_mitAuswertung.pdf (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&s=Herz&typ=1&nid=44771 (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.mecfs.de/wp-content/uploads/2020/11/Postvirale-Fatigue_MECFS_Pacing.pdf (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.spektrum.de/news/das-chronische-erschoepfungssyndrom-wird-jetzt-energischer-erforscht/1553160 (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.pnas.org/content/116/21/10250 (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.br.de/nachrichten/wissen/moeglicher-bluttest-fuer-chronisches-fatigue-syndrom-me-cfs,RPgmUEL (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/ (aufgerufen am 02.07.21. um 23 Uhr)
Bildquelle:
www.pexels.com
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