Ich, Ich, immer nur Ich

Die Entfremdung, der Egofetisch und der Wahn der Selbstoptimierung

Schon bei Max Stirner ging es um den Einzigen und sein Eigentum. Freud definierte gleich mehrere Ich’s und im Allgemeinen dreht es sich immer nur um das „Ich“. Bin das „Ich“ eigentlich Ich? Ist das Ich nicht ein Zerrbild, eine Ikone, ein Konstrukt entstanden aus einer Ritualbildung um dem „Ich“ ein Gesicht zu verpassen, das die anderen „Ichs“ akzeptieren. Ein „Ich“ geschaffen aus dem Zusammenspielen von Zwängen in ein „Ich“ zu passen. Das „Ich“ wird damit zu einem „Wir“, nur sind wir nicht zusammen, oder gar ein Kollektiv. Wir sind viele zersplitterte „Ichs“ die nur dazu dienen in ein Konstrukt gepresst zu werden, dass ein „Wir“ darstellen soll. In Zeiten der immer größeren Technischen Reproduzierbarkeit ist es um einiges einfacher ein steriles „ich“ von sich zu erzeugen. Gerade Frauen werden wissen was ich meine. Kahlrasiert, immer lasziv, immer schön, immer zerbrechlich immer ein „Ich“ erfüllend, was der gesellschaftlichen Norm einer Frau entspricht und wie sich zu verhalten hat. Auch Männer sollen einem „Ich“ entsprechen, dem „Ich“ des erfolgreichen Versorgers, der viel Sport betreibt und einen definierten Körper hat. Denn einen gesunden Körper haben Männer und Frauen nur, wenn sie Leiden, indem sie das Leid zur Schau stellen und damit ihrer Umgebung die Möglichkeit geben sich an diesem Leid zu ergötzen.

Wir beobachten die erfolgreichen „Ichs“ in Blogs, Zeitschriften, dem Fernsehen und unserer Lieblings Video-on-demand Serie. Dieselben Medien suggerieren uns, dass wir mehr wie diese „Ichs“ sein sollen, so beginnen wir unseren Transformationsprozess. Oft beginnt er im Verhalten. Jungen Verhalten sich so, arme Menschen so, Mädchen nochmal ganz anders und überhaupt hat nicht nur jede Geschlechtskonstruktion ihren eigenen Platz im Verhalten sondern gleich jedes Milieu. Junge Mütter, die sich alleine um ihr Kind kümmern fahren immer noch kettenrauchend mit dem Kinderwagen durch die Problemviertel der meisten Illustrierten. Der kleinkriminelle in den Vorstädten ist ja auch meistens Ausländer hat zu lange Hosen und spricht nicht im kultivierten Duktus der weißen Oberschicht. Dann wird uns der Mensch gezeigt der sein Leben gepimpt hat. Der stereotypische Ausländer ist jetzt ein großer Rapper und zeigt uns die Früchte seiner Arbeit mit großen Autos und viel Bling Bling. Die Erfolgreiche Frau ist in der Regel unterernährt und wirkt eher sphärisch als Real, wenn sie im vollkommenen Airbrush von den Werbetafeln oder den Bildschirmen „lächelt“. Wir passen unser Verhalten zu einem Zerrbild an. Der erfolgreiche Rapper den wir sehen ist nicht das „Ich“ was der Mensch verkörpert, sondern ein steriles, lebloses Abziehbildchen das es zu monetarisieren und auszubeuten gilt. Und die Ausbeutung ist noch viel erheiternder für diejenigen die Ausbeuten, wenn sich möglichst viele mit dem Ausgebeutet identifizieren und genau den Lifestyle kaufen, den sie brauchen um ihr eigenes „Ich“ an dieses „Zerr-Ich“ anzupassen.
Dazu werden uns diverse Produkte verkauft, der Markt für Frauen ist dabei deutlich größer, auch wenn der für Produkte die auf dieselben Reize bei Männern abzielen immer mehr werden.
Uns wird also jeden Tag suggeriert das unser „Ich“ gar nicht cool ist. Unser „Ich“ ist etwas was verdreht, angepasst, umstrukturiert werden MUSS um in ein besser verkaufbares „Zerr-Ich“ zu passen. Sei schöner, schlauer, Erfolgreicher, schlanker, sportlicher, fürsorglicher, sexuell aktiver, prüder, sei du selbst und doch wer anders. Wir werden durch dieses Bild und der Möglichkeit dieses „Zerr-Ich“ in den sozialen Medien permanent zu reproduzieren einem immensen widersprüchlicheren Druck ausgesetzt. Wie soll ich mich schicklich verhalten aber gleichzeitig bekomme ich in der Illustrierten meines Vertrauens die „10 besten Tipps ihn ins Bett zu kriegen“. Diese 10 Tipps sind auch nur ein Abziehbildchen von Sexualität die es so nicht gibt. Nichts davon ist irgendwie ästhetisch, sondern allenfalls inhaltsleer. Hattet ihr schonmal sterilen Fernsehsex? So ganz ohne anfassen, einer gespielten Zärtlichkeit und nach 24 Sekunden auf einen schwitzenden Rücken starren ist es vorbei. Welcher Mensch hat denn bitte so Sex? Wer die nackte Wahrheit sehen will, sollte mal auf www.beautifulagony.com gehen und sich Menschen anschauen die ihre Gesichter beim Orgasmus filmen. Ein wenig schmutzig, ein wenig Kinky und irgendwie verstört es viele Menschen, da ihr Bild von Sex überzeichnet ist von den immer gleichen Penissen die Wichse pumpend in Löcher eindringen sollen um dann ihr „Ergebnis“ in Gesichter mit leeren Augen zu spritzen. Ich kenne Leute die es verstört hat, dass die Frau beim Sex nicht als „Schlampe“ bezeichnet werden will, dass Frauen nicht die sexbessesenen Biester sind. Im Übrigen ein Verhalten für den die Gesellschaft jede Frau in einem Sekundenbruchteil verurteilt sobald sie es laut sagt. Ich kenne auch Frauen die es nicht fassen können, dass ihr Sexualpartner keine Dauerspermapumpende Hochleistungsmaschine ist. Unser Sexualleben ist so von der Erfüllung eines pornofizierten „Zerr-Ichs“ geprägt, dass viele sich mittlerweile komplett von ihrem Körper und ihrer Sexualität entfremdet haben.

Diese Strukturen überwölben unser Leben nicht nur beim intimsten unserer Lebensinhalte sondern auch im Beruf. Es gibt Studien die aufzeigen, dass Menschen in Führungspositionen weniger verdienen, wenn sie nicht schlank sind. Der Erfolgreiche Mann – es ist immer ein Mann in den Medien – ist der Fortune500 Manager mit Laufband im Büro und einer Aussicht auf eine generische Skyline mit Betongrauen Klötzen. Du bist nur Erfolgreich, wenn du attraktiv bist. Erfolg, damit Geld wird sexualisiert. Damit wieder ein „Zerr-Ich“ geschaffen, dass wieder nur darauf abspielt die Machtstruktur des reichen weißen Mannes über die Frau aufzuzeigen. Frauen die sich wie „Männer“ in Führungspositionen verhalten, haben statistisch größere Chancen auf eine Beförderung. Diesen Frauen wird durch ihr Verhalten ihre Weiblichkeit abgesprochen, aber sie werden auch nie in den Zirkel der Männer aufgenommen. Sie bleiben eine Art entwurzeltes Zwitterwesen zwischen einer augenscheinlichen Geschlechterrolle, einer der widersprechenden Auslebung in einem konstruierten Geschlechterverhältnis.

Was sagt uns das nun? Oftmals ist eine Anpassung unseres eigenen „Ichs“ an dieses „Zerr-Ich“, welches gerade in westlichen Industriegesellschaften vorkommt, nichts anderes als eine Entfremdung. Karl Marx schrieb von der Entfremdung von der Ware, Ulrich Beck von der Entfremdung des Individuums, ich sage wir haben uns von unserem „Ich“ entfremdet. Wir sollten unser „Ich“ einfach mal ich sein lassen. Nicht moralisierend den Zeigefinger erheben, wenn etwas gegen die kulturelle Hegemonie der patriarchalen-neoliberalen Denkmuster gesagt wird, und dann eine Apologie für eben dieses System anführen. Wir sollten das „Ich“ mehr stärken. Geht auf die Straße wie ihr wollt, ohne Zwänge sich so anzuziehen oder Verhalten zu müssen wie es von einem „Mann“, einer „Frau“ oder einem „Studierenden“ erwartet wird.

Lasst euch nicht einengen in dem wertvollstem was ihr habt – euch selbst.

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