ADHS: Alles nur eingebildet? – vom Verdacht zum Test

Hallo, bei diesem Beitrag möchte ich euch ein wenig auf meinem Weg vom Verdacht von ADHS bis zur Testung mitnehmen. Das Endgespräch mit dem Ergebnis dazu, erhalte ich erst in einer Woche. Alles ist also noch ziemlich frisch bzw. erst vor kurzem gewesen und wer weiß, was die Endbesprechung hergibt.

Aber mal von Beginn an, bisher hätte ich mir niemals die Möglichkeit einer ADHS Störung bei mir vorstellen können. Die eigene Grobmotorik, das Chaos um mich herum und die ständige innere Unruhe sind bei mir Alltag und in meiner Familie sind einige dieser Verhaltensweisen bei dem einen oder anderen Mitglied nicht anders.
Dass es mehr als angeborene Tollpatschigkeit sein könnte, habe ich nicht in Erwägung gezogen.

So kam die Bemerkung einer Freundin, vor etwa zwei Monaten ziemlich überraschend, als sie mir erzählte, dass sie super viele Eigenschaften, die sie bei sich kennt bei mir wieder findet. Ich war sehr verblüfft, doch desto mehr sie darüber erzählte und ich über einige Tage nachdachte, umso mehr Sinn ergab diese Möglichkeit für mich. Die Freundin meinte, es sei ganz typisch, dass ADHS bei weiblich gelesenen Personen oft unentdeckt bleibt, und besonders auch, wenn das Kindesalter schon überschritten ist. Da ADHS erheblich erblich bedingt ist, wäre es gar nicht so unwahrscheinlich, dass mehrere Familienmitglieder betroffen wären.

Die Feststellung der Diagnose wird erschwert, dadurch dass unzählige Bewältigungsstrategien, die sich mit der Zeit etabliert haben, dann die eigentliche Impulsivität, Unpünktlichkeit oder Unaufmerksamkeit verdecken und in jungeren Jahren sorgen oft die Eltern für die nötige Struktur. Dadurch kann vieles für oder gegen ADHS sprechen, es ist einfach nicht leicht identifizierbar gerade auch deswegen, weil ADHS das Stereotyp des lauten, aufgedrehten, rumhampelnden Jungen hat, was allerdings nur eine mögliche Ausdrucksweise von ADHS ist.

Als Kind fiel es mir beispielsweise besonders in der Grundschule lange sehr schwer, mich längere Zeit zu konzentrieren. Ich erinnere mich an super lange Nachmittage, die ich mit Unterstützung am Hausaufgabenmachen beschäftigt war.
Andererseits konnte ich mich bei Dingen, die mich interessieren in den Dingen verlieren und komplett die Zeit und die Umgebung um mich herum vergessen. Noch heute schau ich manchmal Serien und merke nicht, dass Menschen mich gerade ansprechen. Die Außenwahrnehmung, was um mich herum geschieht, ist auch immer noch ab und zu eingeschränkt.

Meine Familie reagierte jedenfalls auf die Idee der Testung eher mit Abneigung und meinte ich soll mich nicht so verrückt machen lassen, hier hat noch nie wer ADHS gehabt und bei mir sei „Alles in Ordnung“.
Viel wusste meine Familie aufjedenfall nicht über diese Störung und dazu beigetragen, dass sich offener über psychische/physische Leiden sprechen lässt, hat sie auch nicht.

Eine Diagnose ist schließlich keine ansteckende Bazille, sondern meiner Meinung nach ein Werkzeug, das Lebensrealität, die mit psychischem Leiden einhergeht, konkret zu beschreiben, also feststellbar zu machen, was mal mit mehr und mal mit weniger Erfolg gelingt.
Auf diese Diagnose können dann mögliche Interventionen aufbauen, die eine Veränderung dieser Lebensrealitat herbeiführen sollen.

So oder so, bestärkte mich meine Freundin, mich auf die Suche nach den Hintergründen meiner Beschwerden zu machen und stieß bei mir an, mich mehr damit zu beschäftigen, was die verschiedenen Ursachen für meine Verhaltensweisen sein könnten, bezogen auf gemachte Erfahrungen, genetische Aspekte, und ihre Interaktionen.

Mit 150€ weniger in der Tasche und einigen erfolglosen Telefongesprächen bei ADHS-Kliniken mehr, bei dem Versuch mit gesetzlicher Versicherung Termine zu ergattern, konnte es dann bei einem ADHS Spezialist für Kinder und Jugendliche in Landau endlich losgehen. Ich sollte vor der Terminverteilung in der Praxis erscheinen, um die Verpflichtung zur Selbstzahlung zu unterschreiben und erhielt zwei Testtermine mit verschiedenen Psycholog:innen für in 3 Wochen und das Endgespräch für in 6 Wochen.

Es folgte ein zweistündiger Intelligenztest, der Allgemeinwissen und kognitive Leistungsfähigkeit testete, bei dem ich im Wissensteil unglaublich schlecht abschnitt. Beim zweiten Termin kam ein Konzentrationstest dran, mit Matrizenaufgaben, solche Aufgabenformen mache ich ziemlich gerne und passenderweise fiel er auch gut aus. Danach kam ein zweiseitiger Fragebogen dran und zum Schluss gab es einen Reaktionstest, also ein Test der mentalen Steuerung, der das visuelle und auditive Reaktionsvermögen testete, sowie Inhibition (Verhaltenshemmung) und die Flexibilität zwischen zwei Aufgaben zu wechseln, also eine Art Multitasking, wo ich ziemlich dran scheiterte.

Ich denke mir, egal was jetzt bei rauskommt, ich bereue die Testung aufjedenfall nicht. Ich hab schon jetzt ziemlich viel über mich selbst gelernt, weil ich viel mehr auf wiederkehrende
Verhaltensweisen geachtet habe.
Ob diese nun eine Einkategorisierung in ein Muster wie ADHS erhalten, also ob meine Symptome die Kriterien für die Diagnose erfüllen oder nicht, wird sich zeigen. Es war jedenfalls schon jetzt bereichernd und über ADHS weiß ich jetzt eine ganze Menge :).

Nachtrag zum Schluss: (den vorherigen Teil verfasste ich vor gut sieben Tagen)

Lustigerweise ist genau heute zum Veröffentlichungstag dieses Artikels mein Endgespräch mit dem Spezialisten gewesen. Es gestaltete sich wie folgt:
Er ließ mir die Resultate der Tests vor, stellte mir den ziemlich schlechten IQ vor, der laut der Testung herauskam und erklärte dann zusammengefasst, dass meine Ergebnisse ziemlich kacke waren, und das ich mit diesen Ergebnissen kaum ein Studium bestehen könne. Insbesondere die Konzentration über längere Zeit war überdurchschnittlich schlecht und nur die Kurzzeitkonzentration und die eigentliche Intelligenz rette es ein wenig.
Fazit: die ADHS Diagnose war mit meinen Resultaten leichter zu erhalten als ich gedacht habe. Er stützte sich stark auf die Werte, fragte nur kurz nach der Uni, und meinte dann, da mein Studium ja zu laufen scheint, seien Medikamente nicht notwendig und empfahl mir Neurofeedback.

Ich muss zugeben, ich hatte bis zum Ergebnis ziemlich Angst, dass ich zu gut in den Tests abgeschnitten hatte, insbesondere weil ich auch in der Schule immer gute Noten hatte. Die Sorge mir zum Schluss doch alles nur eingebildet zu haben war groß, insbesondere, dass ich einfach so „grundlos“ manches nicht so schnell hinbekomme und es eben doch an mir liegt, dass ich mich nicht gut genug anstrenge. Natürlich braucht es keinen wissenschaftlichen Grund um zu Lernen mit den eignen Schwächen umzugehen. Aber es würde doch einiges erklären … zum Beispiel warum sich die Jobsuche als kompliziert darstellt, weil ich so ziemlich alles extrem langweilig finde, auch die mögliche Arbeit als Psychologin.

Schlussendlich war es eine riesige Befreiung von all den Selbstzweifeln und eigenen Strenge sich selbst gegenüber.
Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt auch verständnisvoll mit mir umgehen darf und nicht mehr soo kritisch alles betrachten muss. Was ja doch ein kleines Armutszeugnis darstellt, wenn es dafür erstmal eine andere Person braucht, die mir bestätigt, dass ich für manches einfach gar nichts kann bzw. umgangssprachlich „Schuld“ bin (nebenbei ein schrecklich ansozialisiertes Konstrukt!). All das bedeutet jetzt natürlich nicht, jetzt nichts mehr zu verbessern, aber es nimmt doch die eigenen übertriebenen Ansprüchen den Wind, alles perfekt machen zu müssen und bringt mehr Realismus in die Planung und weniger Selbstzwang!

Interessanterweise meinte der Psychologe auch noch, dass insbesondere Burn Outs häufig das Endprodukt von untherapierten ADHSler:innen sind, und erklärte ebenfalls, dass ADHS super individuell ist, was bei all den berühmten Persönlichkeiten, denen ADHS nachgesagt wird, auch deutlich wird, wie Albert Einstein, Hermann Hesse, Stefan Raab und vielen mehr..
Nebenbei wird auch hier mal wieder die Geschlechterthematik sichtbar, da kaum berühmte Frauen mit ADHS bekannt sind.

Meine gute Freundin und ich sind jetzt jedenfalls richtig into it, haltet euch bereit, vielleicht seid ihr ja schon die nächsten, die der Diagnose zum Opfer fallen!

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.