Kaffeeaugen II

-Aus dem Tagebuch eines ausgehungertem Subjekts-

Bildrechte Philipp Hofmann

Der erste Teil der Kurzgeschichte ist am 29.11.2017 veröffentlicht worden. Er ist hier auf der Homepage im Reiter Kultur zu finden.


Eine frivole Stoßbeleidigung gedämpft durch Gänsefedern, Leinenstoff und aufgebauschte Watte windete sich gen Himmel. Das Objekt seines Anstoßes und dessen Ziel war der rotbraunen, von leuchtendem hell-rosa bis zu knallgelb verlaufenden Linien durchzogenen, morgendlicher Feuerball. Das Helligkeitsmaß in seinem Schlafgemach erreichte ein unerträgliches Maß. Sein licht-abweisender Damm brach unter der Flut von gelben Photonen zusammen. Kleine Schlitze, Öffnungen zwischen den aufgetürmten Stofflagen, macht das frühmorgendliche Leben, also die Essenz seines Lebens, der ausreichende Schlaf, innerhalb dieses Berges unmöglich. Die raschelnden Rollläden, vor den gegen Süden gerichteter Balkonfenster, welcher er am liebsten Richtung Norden ausrichten hätte, dabei aber niemals das geschwungen, efeuartige, eiserne Balkongeländer aufgegeben hätte, hatten die einzige Fähigkeit bei leichter und ins besonders bei starker Brise ein sehr berührendes und deswegen sehr störendes Quietschen und Rascheln von sich zu geben. Als würde ein Windzug durch eine hölzerne Blattkrone streichen. So musste sich die Marschmusik des allmorgendlichen Sportes in vor-waschmaschinen Zeiten am Flusse angehört haben.  Das Ratschen der Waschbretter. Das Quietschen kam eindeutig von den verdammten Schrauben und entbehrt jeglicher Beschreibung. Jeder kennt es. Sah man sich die schmutz-verkalkten Fensteroberfläche an, hätte man die Rollläden eigentlich sofort entfernen lassen können. Durch die Fensterscheiben drang nur noch vereinzelt Licht. Unser Protagonist scheute nun mal das Morgenlicht. Seit seinem Einzug ergriff er jegliche Maßnahme, damit die natürliche Verschmutzung des Fensters von Innen und Außen schnell ging.  Keine Art von Seife oder Putzgerätschaften durfte das Schlafzimmer betreten werden. Jeden Tag wurde der Staubsauerbeutel vor den Fenstertüren ausgeschüttelt.  Und darauf direkt wieder eingesaugt. Der Prozess wurde mehrfach wiederholt und endete meist mit einem Hustenfall Golos oder dem wütenden Besenstielklopfen der Nachbarn hinter ihm, was mitunter eine kleine Ewigkeit dauern konnte, da es eine Flüchtlingsfamilie war, welche das ewige Saugen zunächst als eine komische Deutscheigenart gedeutet hatten, sich aber doch irgendwann durch den Lärm gezwungen sah, einzugreifen, wobei sich jedes Mal die Zeitspanne zwischen Beginn des großen Saugens und dem Klopfen verringerte.  Bei Anzeichen von Niesern, was durch die hohe Staubbelastung des Zimmers unabdingbar war, richtet er sein Gesicht, genauer gesagt die Flugrichtung des bevorstehenden Explosionsgeschosses immer gen Fenster. Als weitere Maßnahme kämpfte er dafür, dass an der anliegenden Hauptstraße der LkW-Verkehr ohne störende Geschwindigkeitsbeschränkungen oder uhrzeitbeschränkte Fahrverbote möglich wäre. Ein einsamer Posten. Die einzig beiden Mitstreiter, der cholerische Vertreter des hiesigen Einzelhandels und der magere LkW Lobbyisten, konnte er einfach nicht leiden und hatte sich mit ihnen im Streit überworfen. So waren sie entgegen ihren ureigensten Interessen auf die Seite der Befürworter einer Reglung des Verbots gewechselt. Welche Tragik!

Ein verheißungsvolles Gähnen drang an die gespannte Oberfläche. Spontan fing sich der Stoffhaufen an, um die eigene Achse zu drehen. Er wirbelte. Winzige Staubpartikel schwingen sich Richtung Zimmerdecke. Sie tanzen durch die goldgefluteten Lichtkorridore der eindringenden Sonnenstrahlen. Der Aufwind durch die Drehungen trieb die unsichtbare Asche schwingend in neue Luftschichten. Der rasende Stoffhaufen erzeugte im gleichen Maß Staub, wie er ihn außerhalb seiner Sichtweite blies. Ein letztes völlig verzweifeltes Aufbäumen des Halbwachen gegen die Helligkeit. Der Haufen tanzte. Die Matratze wurde zur Sprungfeder seiner Empörung. Der drehende Tanz ließ neben winzigen Blicke unter die Decke, eine gewaltige Unzahl an Dingen aus ihm herausschießen. Als hätte sich ein schwarzes Loch umgestülpt, und würde hemmungslos jegliche verspeisten Gegenstände unverdaut herauswürgen. Unberührt der verbreiteten Unreinheit auf dem Boden tanzte es wild einen Lichtertanz in den Höhen des Zimmers. Der absenkte Moment in ihrem Tanz obsiegte als Leichtigkeit. Wie weißgetünchte Derwische wirbelte sie übers Lichtparkett. Die beseelte Eigenständigkeit der erwachsenen Flauschkugeln.  Die Vorstellung eines barocken Tanzgelages mit ausfallenden Gewändern stieg in aktive Kopfregionen eines zufälligen Beobachters. Der adelige Fuselball war eröffnet. Das Licht wischte Feststoffe und klassische Atemluft in seine farbige Untermalung. Die diffusen Schattenbilder der verschmutzten Fenster, begrenzte den Saal. Das wilde Tanzgetümmel war ein Augenschmaus für die betrübte Katze.  Der Wirbel nahm ab. Der Ballsaal leerte sich.  Der windende Wurf endete. Fusel und Flocken wurden wieder stationär. Festgenagelt auf ihren Punkt. Ihren geometrischen Gewichtsschwerpunkt.  Die Staubflockenkollektive suchten ihre Ablageplätze und beendeten den Spuk. Ein erneutes unbefriedigendes bis zum Gram entstelltes, jedoch schlaftrunkend aufschütteltes Gähnen bejahte den Rausch um das elendige Aufstehen.


 

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