Plötzlich Märchen

Willkommen zu den Märchen-März-Montagen!

Kapitel 1: Das Lebkuchenhaus

Es war einmal eine Familie, die hatte zwei Kinder. Ihre Namen waren Henry und Greta. Da ihre Großmutter am Rand des Dorfes ganz allein in einem kleinen Häuschen wohnte, gingen die Kinder sie oft besuchen. Greta schnappte sich dann ihre Nike-Air, Henry zog seine rote Adidas-Kappe auf und ihr Vater packte einen Korb mit Lebensmitteln, die seine Kinder zu seiner Mutter bringen sollten. Einmal, als die beiden so ausgestattet durch das Dorf gingen, kam Henry eine Idee:

„Lass mal einen anderen Weg ganz außen am Wald entlang nehmen. Wenn wir halb ums Dorf rum sind, müssten wir Omas Haus locker finden.“

Obwohl Greta lieber ihren gewohnten Weg gelaufen wäre, um nicht so lange zu brauchen, folgte sie ihrem Bruder. Eine Weile gingen sie schweigend einen schmalen Pfad entlang, dann tauchte wie aus dem Nichts eine hübsche, kleine Backstube auf der Waldseite etwas abseits des Pfades auf. Ganz allein stand sie da, unter Kiefern und Tannen, mit Lebkuchen bemalt, mit rauchendem Steinofen und einer Auslage voll verlockendem Süßgebäck.

„Boah ich hab echt Hunger“, sagte da Henry. „Warum ist hier eigentlich keiner zu sehen, der auf die Sachen aufpasst?“

Da trat eine gebückte, alte Frau aus der Backstube und rief mit einer schauerlich krächzenden Stimme: „Knusper, knusper, Knäuschen! Wer knuspert an meinem Häuschen?“ Dann veränderte sich ihr Tonfall hin zu dem einer ganz normalen, freundlichen Frau: „Aber ihr zwei seid vielleicht schon ein wenig zu groß dafür.“ Die alte Frau lachte. Als sie die verständnislosen Blicke der Kinder sah, erklärte sie: „Wir haben eine Märchen-Erlebnisausstellung im ganzen Waldstück dieses Wochenende. Ich spiele die böse Hexe aus Hänsel und Gretel.“

„Ach so!“, riefen die Kinder und mussten nun auch lachen.

„Nehmt euch doch etwas Süßes, wenn ihr wollt, und macht ein Foto im Käfig hinterm Haus. Ich freue mich ja, wenn endlich jemand hier vorbeikommt.“

Das ließ Henry sich nicht zweimal sagen, er schnappte sich eine Zimtschnecke und folgte der Schauspielerin, seine Schwester im Schlepptau, hinters Haus.

Weil das ja irgendwie Teil der Absprache war und die Alte sich wirklich sehr über ihre Besucher zu freuen schien, überließ Henry ihr sein Smartphone für ein Bild und setzte sich in den Käfig, der tatsächlich auf der Rückseite der Backstube aufgebaut worden war.

In die Frau, die so sehr wie eine Hexe aussah, kam jedoch plötzlich Bewegung. Mit einem höhnischen Lachen sprang sie nach vorn und verschloss den Käfig, dann drehte sie sich um und warf das Handy in einen großen Ofen, in dem ein offenes Feuer loderte.

„Spinnen Sie denn? Was haben Sie nur getan?!“, schrie Henry wutentbrannt, doch die alte Frau lachte noch lauter und sprang flink auf Greta zu. Diese drehte sich um, so schnell sie konnte, und rannte in den Wald hinein. Ihr Bruder aber schrie und rüttelte an den Gitterstäben und konnte sich nicht befreien. Entsetzt sah er zu, wie die Alte zu ihrem Hexenhaus zurückkehrte, während seine Schwester zwischen den Bäumen verschwand.

Ein irres funkeln lag in den Augen der Hexe, als sie vor dem Käfig zum Stehen kam. „Wusste ich doch, dass ein Häuschen in Dorf-Nähe mehr saftige kleine Kinder anlocken würde, als der alte Schuppen tief im Wald. Die Leute schicken ihre Bälger ja ohnehin kaum noch nach draußen…“ Scheinbar gedankenverloren, fing die Alte zu summen an und Henry sah ihr sprachlos dabei zu, wie sie einige Holzscheite in das große Feuer warf. Als der Junge seinen Mut endlich wiederfand, sagte er:

„Hören Sie mal, wenn Sie mich jetzt gehen lassen, werde ich niemandem von dieser Sache erzählen. Das mit dem Handy ist nicht so wild, das war eh alt. Sie haben es eben beim Schauspielern ein wenig zu weit getrieben, weiter ist ja nichts passiert, richtig?“

Da kam die Hexe ganz nah an das Gitter heran und rieb sich wie in großer Vorfreude ihre knorrigen Hände. „Weiter ist nichts passiert, weiter ist nichts passiert,“ wiederholte sie. „Aber sieh mal, kleiner Hänsel, wenn ich dich jetzt gehen ließe, so könnte ich dich morgen ja nicht mehr fressen!“ Und ehe Henry noch etwas erwidern konnte, war die Alte in ihrem Häuschen verschwunden.

Kapitel 2: Im Wald

Greta liefen Tränen über die Wangen und ihr Gesicht glühte. Sie konnte längst nicht mehr rennen und da die alte Hexe nirgends zu sehen war, lehnte sie sich an einen Baum, um sich auszuruhen. Das Mädchen verstand nicht, ob ihr Bruder nun von einer verrückten Schauspielerin gefangen gehalten wurde, oder von einer waschechten Hexe. Im Grunde genommen sah sie da auch keinen Unterschied: Egal, was los war, sie musste Henry befreien oder jemanden um Hilfe bitten, und zwar so schnell wie möglich. Also atmete sie tief durch, rappelte sich auf und lief vorsichtig in die Richtung, in der sie den Waldweg mit dem Hexenhaus vermutete.

Da Greta sich aber in einem Märchenwald befand, aus dem Kinder bekanntermaßen nur durch das Legen einer Spur oder die Hilfe neuer Wegbegleiter herausfinden, lief sie immer tiefer in den Wald hinein. Dort, im dichten, dunklen Nadelwald, gelangte Greta schließlich an einen Tümpel. Sie kniete sich an seinen Rand, um zu prüfen, ob das Wasser wohl trinkbar sein könnte, da ertönte eine tiefe, quakende Stimme:

„Prinzessin, bitte erschreckt Euch nicht!“

Natürlich erschrak sich das Mädchen fast zu Tode, als es den Frosch erblickte, der in dem trüben Wasser schwamm und zu ihm gesprochen hatte. Greta sprang auf die Füße und lief ein paar Schritte rückwärts.

„So wartet doch! Ich kann und will Euch ja kein Leid antun,“ beteuerte der Frosch.

„Dann hör auf zu sprechen!“, rief Greta und setzte etwas leiser hinzu: „Frösche können nicht sprechen. Das geht nicht.“

Der Frosch aber konnte ihr diesen Wunsch nicht erfüllen. „Wenn ich jetzt schweige, sitze ich vielleicht auf ewig in diesem Tümpel fest,“ sprach er. „Dabei kann ich Euch gewiss helfen.“

„Und wie?“

„Ihr habt Euch verlaufen, Königstochter. So nehmt mich nur herauf zu Euch und ich werde Euch den Weg zum Schloss Eures Vaters weisen.“

„Ich bin aber keine Königstochter!“, schrie da das Mädchen aufgebracht. „Ich bin bloß Greta aus dem Dorf vorm Wald und ich will meinen Bruder befreien und ich will nach Hause!“

„Nicht des Königs Tochter, sagt Ihr?“ Der Frosch verfiel für einen Augenblick in grüblerisches Schweigen. „Vermutlich ist das einerlei,“ sagte er dann. „Wenn ich Euch aus dem Wald herausführe, darf ich im Gegenzug bei Euch bleiben und Euer Freund werden. Das ist meine Bedingung.“

Greta starrte das Tier entgeistert an. „Ich bin im Froschkönig,“ murmelte sie leise. „Vorhin Hänsel und Gretel und jetzt der Froschkönig.“ Sie schüttelte noch einmal den Kopf, wie um sich selbst zu bestätigen, dass das alles nicht wahr sein konnte. Dann streckte sie dem Frosch ihre Hand entgegen.

„Komm schon, wir haben eine Hexe zu besiegen.“ 

Fortsetzung folgt…

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