60 Jahre Eichmann-Prozess: „Banality of Evil“*

Eichmann als Richard ("Ricardo") Klement, veröffentlicht von Wikimedia Commons, gemeinfrei nach Law 11.723, Article 34 und Berne Convention Article 7 (4)

Dieser Artikel ist der Beginn einer Reihe, welche sich mit Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und der Vergangenheit Deutschlands beschäftigt. Vor ungefähr 60 Jahren begann in Israel eines der wichtigsten Gerichtsverfahren der Geschichte: der Eichmann-Prozess.

Das Judenreferat

Adolf Eichmann wurde 1906 in Solingen geboren und wuchs in Österreich auf. Nachdem er 1932 der NSDAP beitritt, übernimmt er schon früh das „Juden-Referat“ – Teil der Gestapo (Geheimen Staatssicherheitspolizei). Er arbeitete anfangs von Wien und Prag aus, bis er nach der Wannseekonferenz (wo er Protokollführer war) in Berlin mit der „Dienststelle Eichmann“ als SS-Obersturmbannführer eine zentrale Rolle bei der Deportation und Vernichtung von mindestens sechs Millionen Juden in Europa spielte. Er selbst sah sich als ein „fanatischer Kämpfer für die Freiheit seines Blutes“.

Nach dem Krieg: Flucht aus Deutschland

Eichmann floh an Weihnachten 1944. Er lebte anfangs unter dem falschen Namen Otto Henninger in Deutschland und verdiente sich sein Geld als Holzarbeiter. Er schaffte es, sich und seine Familie finanziell abzusichern – auch wenn der Versuch seiner Frau ihn für Tod zu erklären (und somit vor einer strafrechtlichen Verfolgung zu schützen) scheiterte. Danach zog es ihn – wie damals viele Nationalsozialisten – über Italien nach Argentinien. Diese Fluchtroute war bekannt und wurde teilweise auch von Helfern aus dem Vatikan wie Bischof Alois Hudal unterstützt. In Südtirol kam man leicht an gefälschte Papiere und als Staatenloser wurde die Ausstellung von Ersatz-Reisepässen durch das Rote Kreuz möglich. Argentinien war das Ziel! Erst im März 1945 hatte das Land Deutschland unter Druck den Krieg erklärt. Außerdem waren Arbeiter sehr willkommen und wurden nur lasch kontrolliert. Deutsche galten hier als fleißig und organisiert und wurden zum Teil auch finanziell bei ihrer Flucht unterstützt. Einige Nationalsozialisten fühlten sich so sicher, dass sie ihre echten Namen wieder annahmen (wie u.a. Josef Mengele).

Angekommen in Argentinien

Aus Otto Henninger wurde Richard („Ricardo“) Klement. Unter diesem Namen fand man „Eichmann“ ab 1952 sogar im Telefonbuch von Buenos Aires. In Argentinien arbeitete er unter anderem für Mercedes-Benz und stand in Kontakt mit anderen Nationalsozialisten. Schon ab 1958 war sein Aufenthalt bekannt, doch in Israel lag der Fokus auf dem Aufbau des noch jungen israelischen Staates und auch deutsche Verantwortliche wollten nichts von Eichmanns Aufenthaltsort gewusst haben. Der Hartnäckigkeit des jüdischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer (mit dem diese Reihe nächsten Montag weiter geht) ist es zu verdanken, dass Eichmann 1960 festgenommen wird. Bauer hatte einen Hinweis von dem in Argentinien lebenden Juden Lothar Herrmann bekommen, welcher Eichmanns Sohn durch seine Tochter kennenlernte. Bauer wand sich an israelische Ermittler mit dem Wissen, dass die deutsche Botschaft in Buenos Aires teilweise mit Nationalsozialisten besetzt war. Anfangs ging man dem Hinweis nur halbherzig nach, doch am Abend des 11. Mais 1960 wird Eichmann auf dem Weg nach Hause festgenommen. Die Umgebung und Eichmanns Routinen wurden vorher beobachtet und die gut geplante Festnahme streng geheim gehalten, damit Eichmann nicht durch andere untergetauchte Nationalsozialisten gewarnt werden kann, welche in Argentinien teilweise noch wichtige Ämter belegten. Während der 11-tägigen Befragung in Argentinien gab Eichmann sich kooperativ und beteuert ein reiner Befehlsempfänger gewesen zu sein. Gegen Juden hätte er nie etwas persönlich gehabt.

The State of Israel vs. Adolf Eichmann*

Argentinien war entrüstet und der UN-Sicherheitsrat kritisierte Israels Vorgehen. Auch Eichmann redete von einer „Entführung“, zweifelte einen „fairen Prozess“ an und wollte nach Deutschland (wo es zu dieser Zeit keine Todesstrafe gab) ausgeliefert werden. Der Prozess fand jedoch in Israel statt und brachte der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen viel Aufmerksamkeit: Fernsehen, Radio und Zeitung begleiteten den Eichmann-Prozess weltweit, der israelische Historiker Tom Segev sah im Verfahren eine Möglichkeit für Israel die Vergangenheit aufzuklären. Sogar in Westdeutschland lenkte man den Fokus auf die eigene Vergangenheit. Aber auch mit Sorge verfolgte man den Gerichtsprozess in Deutschland genau: Konrad Adenauers Staatssekretär – Hans Globke – hatte für die Nationalsozialisten gearbeitet. Es gab immer wieder Versuche, die Namen von hochrangigen Nationalsozialstein unter Verschluss zu halten. Der israelische Ministerpräsident Ben Gurion sah aufgrund seiner guten Beziehung zu Adenauer den Prozess als ein Verfahren gegen Eichmann und nicht gegen ganz Deutschland an.

Trotzdem war der Prozess ein einmaliges Ereignis:

Um das Gerichtsgebäude stand ein fünf Meter hoher Zaun, die Straßen waren gesperrt, viele Polizisten unterwegs. Wachmänner sollten einen möglichen Suizid Eichmanns verhindern. Vor Ort waren über 100 Zeugen, Historiker und fast 500 Journalisten anwesend. Es gab mehr als 1500 Beweis-Dokumente.

Vom 11. April bis zum 15. Dezember 1961 an fünf Tagen die Woche wurde für sechseinhalb Stunden verhandelt. Anwesende Richter, aber auch Anwälte waren in der Kriegszeit geflohen. Erstmals berichteten Holocaust-Überlebende vor der ganzen Welt über die grausamen Verbrechen, welche ihnen angetan wurden.

Eichmann versuchte wieder in seine Rolle als „reinen Befehlsempfänger“ zu schlüpfen und sich während der Anhörungen mit den Polizisten zu vergleichen. Er wäre nur ein „Rädchen im System“ gewesen und hätte keine Chance gegen die Befehlsgeber gehabt. Doch Zeugenaussagen und Dokumente widerlegten dieses Bild. Während Eichmann die Taten nicht bestritt, betonte er immer wieder nur nach Anweisungen gehandelt zu haben und bekannte sich am Ende des Prozesses als „nicht schuldig“.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Am 15. Dezember 1961 wurde Eichmann in allen 15 Anklagepunkten schuldig gesprochen. Unter anderem aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das jüdische Volk sowie wegen Kriegsverbrechen. Zwei Tage vor seinem Tod versuchte er, wie schon vorher seine Frau und Geschwister erfolglos, um Gnade zu bitten in einem Brief an Israels zweiten Staatschef Jitchak Ben Zwi und seiner Strafe zu entfliehen. Die Todesstrafe wurde jedoch in der Nacht zwischen dem 31. Mai und dem 1. Juni 1962 vollzogen und seine Asche im Meer zerstreut.

Zum Eichmann-Prozess gibt es viele Filme und Bücher. Hier ein paar Empfehlungen.

Literatur-Empfehlung:

* „Eichmann in Jerusalem – A Report of the Banality of Evil“ von Hannah Arendt, die in Jerusalem für „The New Yorker“ berichtete.

* Buch: „The State of Israel vs. Adolf Eichmann“ von Hanna Yablonka

Hier eine Dokumentation in der BR-Mediathek:

https://www.br.de/mediathek/video/der-eichmann-prozess-vor-60-jahren-doku-die-katastrophe-vor-gericht-av:606db526e487b10013845ea0

Und auch ein Youtube-Video von MrWissen2Go:

Quellen:

https://www.br.de/mediathek/video/der-eichmann-prozess-vor-60-jahren-doku-die-katastrophe-vor-gericht-av:606db526e487b10013845ea0 (abgerufen am 10.05.21 um 19 Uhr)

https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/suedamerika/317754/argentinien (abgerufen am 10.05.21 um 17 Uhr)

https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68641/50-jahre-eichmann-prozess-15-12-2011 (abgerufen am 10.05.21 um 18:11 Uhr)

https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/331105/60-jahre-eichmann-prozess-zwischen-identifikation-und-instrumentalisierung (abgerufen am 10.05.21 um 17:25 Uhr)

https://www.deutschlandfunk.de/eichmann-prozess-1961-philosophin-eichmann-war-ein.694.de.html?dram:article_id=495532 (abgerufen am 10.05.21 um 19:12 Uhr)

https://www.deutschlandfunkkultur.de/begegnung-mit-einem-moerder.1024.de.html?dram:article_id=174309 (abgerufen am 10.05.21 um 16:55 Uhr)

https://www.deutschlandfunk.de/organisator-des-massenmords-der-fall-ricardo-klement.724.de.html?dram:article_id=99837 (abgerufen am 10.05.21 um 16:45 Uhr)

https://www.deutschlandfunkkultur.de/fluchthilfe-fuer-ns-verbrecher-die-rattenlinie-nach.976.de.html?dram:article_id=488129 (abgerufen am 10.05.21 um 16:50 Uhr)

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/eichmann-in-jerusalem-eine-mentalitaet-vor-gericht-90403993.html (abgerufen am 10.05.21 um 17:45 Uhr)

https://www.planet-wissen.de/geschichte/nationalsozialismus/novemberpogrome/pwieadolfeichmannorganisatordesgrauens100.html (abgerufen am 10.05.21 um 17:35 Uhr)

https://www.sueddeutsche.de/politik/adolf-eichmann-und-der-bnd-beide-augen-zu-1.1046367

https://www.tagesschau.de/ausland/eichmann-entfuehrung-101.html (abgerufen am 10.05.21 um 18:36 Uhr)

https://www.tagesspiegel.de/politik/das-gnadengesuch-von-adolf-eichmann-ein-dokument-des-leugnens-und-der-erinnerung/12887690.html (abgerufen am 10.05.21 um 18:32 Uhr)

https://www.welt.de/geschichte/article230032931/Eichmann-Prozess-Was-hinter-der-Banalitaet-des-Boesen-steckt.html (abgerufen am 10.05.21 um 17:49 Uhr)

https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/60-jahre-adolf-eichmann-prozess-israel-100.html (abgerufen am 10.05.21 um 19:02 Uhr)

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.